Bonita Avenue (German Edition)
Junge», sagte er, «du lässt dir wieder alles Mögliche auf die Nase binden. Dummes Geschwätz über Respekt und Tugendhaftigkeit. Der Mann hat keine Ahnung, wovon er spricht.»
«Herr Vloet hat den dritten Dan, Papa. Den kriegt man nicht einfach so.» Er verspürte einen leichten Tritt gegen sein Schienbein. Daan starrte ihn an, sein Mund ein Strich, er schwenkte kaum wahrnehmbar den Kopf.
«Es interessiert mich nicht die Bohne, welchen Damm Herr Vloet hat oder nicht hat», sagte sein Vater, plötzlich aufbrausend. «Es geht mir um das naseweise Geschwätz über Japaner. Erzähl deinem Vater nichts über die Japse, Simon. Komm mir nicht mit irgendwelchem Mist über tugendsame Japse. Oder über das Glück anderer. Gott bewahre mich davor.»
Bei dem Wort «Gott» schlug sein Vater kräftig auf den Rand seines Tellers. Er brach entzwei. Zuerst das laute Klirren, dann: absolute Stille. Freek und Daan schauten mit großen Augen auf ihr Stück Bratwurst, Ankie starrte mit vollem Mund ihren Vater an. Als wäre der Teller nicht zerbrochen, spießte er ein Stück Kartoffel von der Tischdecke, steckte sich die Gabel in den Mund und kaute. Als er runtergeschluckt hatte, sagte er ruhig: «Siem, hör zu. Du sagst zu diesem Herrn Vloet, dass dein Vater in einem japanischen Lager in Birma war. Du sagst: ‹Mein Vater hat im Zweiten Weltkrieg Zwangsarbeit an der Eisenbahnlinie in Birma leisten müssen.› Verstanden? Dann weiß Herr Vloet genau, warum du in Zukunft nicht mehr kommst.»
Auf der Molslaan, nach gut der Hälfte des Wegs, pusteten er und sein Vater sich in die Hände. Es schien fast, als säße in dem Sekretär jemand drin.
«Klappt doch, Junge.»
Schweiß floss ihm über den Rücken – doch zum Anstrengungsschweiß kam nun auch Angstschweiß hinzu. Seiner Schwester vertraute er, ohne jede Frage, die würde ihr Komplott nicht verraten, doch bei seinem Schwager war er sich weniger sicher. Gerrit, dessen Fingernägel von der Werkstatt Trauerränder hatten. Ein seltsamer Kerl war dieser Gerrit, fand er, der hatte es faustdick hinter den Ohren und strich seinem Vater Honig ums Maul, bis er in langen Schlieren runtertriefte. Wusste über jeden etwas zu erzählen, Dinge, über die niemand jemals sprach. Die genaue Todesursache seiner Mutter zum Beispiel, die wusste Siem von Freek, und Freek wiederum hatte sie von Gerrit erfahren. Seine Mutter, seine sanfte, liebe, schöne Mutter, war laut Gerrit an den Folgen eines Furunkels gestorben. Eines Furunkels in der Nase. «Eines Furunkils?», hatte er erschrocken gefragt. Furunkil, Furunkil? Das hörte sich nach einem Affen an, den die Russen ins All schossen. «Eine Art Eiterpickel», erklärte Freek. «Daran stirbt man doch nicht?», stotterte er erschrocken. «Doch», sagte Freek, «wenn der Eiter durch die Nase ins Gehirn spritzt.»
Es gefiel ihm gar nicht, dass Gerrit von seinem heimlichen Judo-Training wusste. Von seiner Weigerung, auch nur im Traum daran zu denken, es seinzulassen. An dem Nachmittag, als er bei Loes und Gerrit vorbeigegangen war, um zu fragen, ob seine Schwester in Zukunft seinen Judo-Anzug waschen könne, zeigte sich auf der Stirn seines Schwagers ein missbilligendes Runzeln. Gerrit hatte sich hingesetzt und wollte ihm haarklein darlegen, warum sein Vater Judo nicht mochte. Er habe doch bestimmt vom Krieg gehört? Von Indonesien? Was die Gelben seinem Vater dort angetan hatten? Nein? «Mensch, Junge», sagte Gerrit mit einem feinen Grinsen, «die haben deinen alten Herrn ganz schön hart rangenommen. Das kannst du mir glauben. Erst zweihundert Kilometer marschieren, nach Birma, auf bloßen Füßen, sieben Nächte lang. Und dann zwei Jahre lang Bahnschwellen schleppen, vierzehn Stunden am Tag, ohne Tarifvertrag. Überall Entzündungen und komplett verlaust. Und pausenlos gab’s Prügel von den Japsen. Hast du schon mal den Rücken deines Vaters gesehen?»
«Nein.»
«Sieh zu, dass das so bleibt, Junge. Als du noch mit Windeln rumgelaufen bist, haben deine Schwester und ich bei euch gewohnt. Jede Nacht um drei ging es los. Wie ein Baby hat er geschrien, dein Vater. Er schlief in dem kleinen Nebenzimmer, deine Mutter konnte ihren Schlaf gut gebrauchen. Unter seinem Bett lag so ein, wie heißt das noch, so ein Schlitzaugendolch, ein Klewang, und wenn deine Mutter oder ich …»
Loes war hereingekommen, stellte eine Kanne Kaffee auf den Tisch. «Was erzählst du dem Jungen da gerade?»
«… oder deine Schwester hier ihn beruhigen wollte,
Weitere Kostenlose Bücher