Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Buwalda
Vom Netzwerk:
das Boot ihn umtreibt. Er muss irgendwie auf diesen Dachboden kommen.
    Am nächsten Morgen nehmen sie beim Abschied die Einladung an, das Weihnachtsfest zu viert in Hans’ und Rias Chalet in den französischen Alpen zu feiern. Tineke setzt sich ans Steuer und fährt, so wie sie es immer machen, wenn sie gemeinsam in Utrecht sind, durch die Antonius Matthaeuslaan – doch er schaut sich fast gar nicht um. Soll er noch einmal in Aarons Haus gehen? Er versucht, sich in seinem Vater zu spiegeln, fragt sich, ob der bis zu diesem Meisterschaftsgenever wirklich nichts gewusst hat – natürlich wusste er es. Früher interpretierte er dessen halsstarriges Ignorieren des Judo als Unfähigkeit zu differenzieren, als Kurzsichtigkeit und, je mehr Zeit verging, als ganz normales Desinteresse eines alten Mannes. Zum ersten Mal unternimmt er den Versuch, sich davon frei zu machen und sich ernsthaft in seinen zutiefst erniedrigten, von Rachegefühlen erfüllten Vater hineinzuversetzen, und diese Lektion in Empathie führt ihn zu der Erkenntnis, dass sein alter Herr es geduldet hat, trotz seiner traumatischen Kriegserinnerungen hat er seinen Judosport geduldet. Als er 1964 starb, war Sigerius insgeheim erleichtert gewesen, es hatte ihm regelrecht bevorgestanden, ihm nach seinem Trainingsjahr in Japan unter die Augen zu treten, eine Erleichterung aus reinem Egoismus. Doch in den arbeitsreichen Tagen nach dem letzten Wochenende bekommt das alte Gefühl eine neue Note, zum ersten Mal ist er zufrieden darüber, dass sein Vater es nicht mehr erleben muss, zum ersten Mal ist er seines Vaters wegen erleichtert. Vielleicht fragt er sich deshalb: Muss er selbst nicht auch dulden ? Genau wie sein Vater so tun, als wisse er von nichts? Wissen und doch nicht wissen? Bis der Nachbarsjunge eines Abends rüberkommt und erzählt, dass der eigene Sohn Meister ist? Aber was, fragt er sich, wird man ihm eines Tages erzählen?
    Am Mittwochmorgen tagt die Oosting-Kommission, am Nachmittag ergreift er die Gelegenheit. Um halb fünf geht er mit dem Jackett über dem Arm zum Parkplatz des Verwaltungstrakts. Summend steigt er in seinen Dienstwagen und fährt die Hengelosestraat entlang. Er parkt vor dem McDonald’s am Schuttersveld und geht von dort zum Baumarkt.
    Ein schüchterner, pickeliger Junge in einem roten Poloshirt mit Firmenlogo führt ihn zu einer Wand mit Winkelschleifern und Bolzenschneidern. Er kauft den zweitkleinsten Bolzenschneider, der auch schon ziemlich groß ist, und fährt zurück zum Campus. Als er das Bauernhaus betritt, stellt er zu seiner Zufriedenheit fest, dass niemand da ist. In ihrem Schlafzimmer im Erdgeschoss entledigt er sich seines Anzugs und geht ins Badezimmer. Er duscht lauwarm. Wenn er tief einatmet, schwingt in seiner Brust eine nicht unangenehme Nervosität mit. Er trocknet sich ab, geht nackt ins Ankleidezimmer, zieht eine beige Baumwollhose an, Bootsschuhe ohne Socken und ein helloranges Poloshirt. Ist das nicht zu viel des Guten? Er betrachtet sich im Spiegel und beschließt, doch einfach seinen Anzug wieder anzuziehen.
    Nach einigem Suchen findet er im Wandschrank ihres Schlafzimmers eine große Tennistasche, in die der Bolzenschneider diagonal hineinpasst. Im Wohnzimmer schreibt er einen Zettel für Tineke: «Hallo, Schatz, war’s schön mit deiner Schwester? Ich komme nicht drum herum, mit Leuten aus der Studentenverbindung essen zu gehen. Anschließend schauen wir uns alle zusammen Frankreich gegen die Niederlande an. Bis später, S.»
    Kurz nach sechs fährt er zum zweiten Mal die Hengelosestraat entlang. Der Berufsverkehr wird bereits schwächer, er hat beide Seitenfenster halb geöffnet, hört Cannonball Adderley. Es ist ein windstiller warmer Abend, eine große, träge Sonne streicht die Stadt nach, als wäre sie ein beschädigtes Modell. Viele Menschen sind auf den Beinen, Schlangenlinien fahrende Radler, in den Parks spielen Männer mit aufgerollten Hosenbeinen Fußball. Aber es ist ein Film. Cannonballs schwingendes Altsaxophon gehört zu diesem Film – nicht zu ihm. Obwohl der laue Abendwind durch sein Auto weht, ist er kein Teil von Enschede.
    Er nähert sich Roombeek auf der Lasondersingel, der Bauzaun steht da, als wäre er älter als die Stadt. Den Wagen stellt er auf dem Parkplatz vor dem niedrigen Apartmenthaus ab, die langgestreckte Festung, die Aarons Straße vor der Druckwelle bewahrt hat. Die Sporttasche hängt schwer an seiner Schulter und streift die überhängenden Nadelgehölze, die den

Weitere Kostenlose Bücher