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Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Buwalda
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er, «hat Judo wenig mit Kämpfen zu tun, im Grunde gar nichts, beim Judo geht es um Selbstbeherrschung und um Respekt vor dem Gegner. Professor Kano, der Begründer, hat den Sport nicht umsonst ‹Judo› genannt, das bedeutet ‹sanfter Weg›. Dass die Welt dadurch besser werden würde, das hoffte er.»
    «Besser?», fragte sein Vater. «Besser wodurch?»
    «Durch Judo natürlich», antwortete er. «Für Professor Kano war Judo kein Sport, sondern eher, wie soll ich sagen, eine Art Erziehung. In Japan lernt man Judo in der Schule, Papa, dort wird jeder in jungen Jahren mit den Idealen und Prinzipien, die als Symbol dahinterstehen, vertraut gemacht, verstehen Sie?»
    Sein Vater tat etwas, was er nicht gerne tat – er lachte. Sein müdes Gesicht verzog sich zu einer Grimasse, die Siem so überraschte, als hätte er die nackten Beine seines Vaters gesehen. Es war kein fröhliches Lachen. Was er als dreizehnjähriger Junge nicht in Worte hatte fassen können, waberte zu jeder Jahreszeit wie fettiger Dunst in seinem Kopf: Ihr Vater war ein gebrochener Mann. Zusammen mit ihrer Mutter hatte er einen Schreibwarenladen in der Choorstraat betrieben, ein stilles Geschäft, das vom Enthusiasmus seiner Mutter getragen wurde und nach ihrem unbegreiflichen Tod sehr bald pleiteging, beinahe so, als hätte jemand den Stopfen aus einer Badewanne gezogen. Sie hatten umziehen müssen. Seitdem wohnte sein Vater mit fünf Kindern und noch mehr Gläubigern in dieser Mistbude. Er tat sein Bestes, aber der Lack war ab. Er sagte: «Als Symbol steht nirgendwo was dahinter, Siem. So sagt man das nicht. Aber erzähl mir doch etwas über die japanischen Ideale.»
    «Gut», sagte er beflissen und dachte kurz darüber nach, was Herr Vloet genau gesagt hatte. «Also, Professor Kano fand ein Miteinander sehr wichtig. Sowohl auf der Matte als auch außerhalb eines Dōjōs sollen Judokas anderen Menschen helfen.»
    Er sah Ankie ein Gähnen unterdrücken. Freek tat so, als würde er paddeln. «Kanu-Kano», sagte er.
    «Ein Miteinander vergrößert das Wohlgehen all …»
    «Wohl er gehen», unterbrach sein Vater ihn.
    «… das Wohl er gehen aller. Indem man sich fair und respektvoll verhält, vergrößert man das Glück der anderen, Papa, und damit auch das eigene. Ganz anders als beim Boxen. Boxer schlagen sich gegenseitig nur zu Brei. Judokas haben Respekt voreinander.»
    «Warum würgen sie sich dann gegenseitig?», fragte Freek.
    «Das ist Teil des Wettkampfs, Dummkopf», fuhr er ihn an. «Wenn man abschlägt, lässt der andere sofort los.»
    «Wer würde deiner Meinung nach gewinnen», fragte Freek sofort, «Floyd Patterson oder … wie heißt er doch gleich … euer Anton Geesink?»
    Sein Vater fuhr sich mit der linken Hand über den mageren Hals. «Siem», sagte er zu den anderen, «spricht über Judo, als übte er diesen … Sport schon seit Jahren aus.»
    «Nein, eben nicht», sagte Siem erschrocken. Er liebte seinen Vater, weil er sein Vater war, weil sein Vater es auf sich nahm, zweimal die Woche abends zur Schule zu gehen, weil er seine Frau verloren hatte und für die Kinder ein bisschen auch Mutter war. Aber er sah sich vor, vielleicht weil sein Vater schon so viel durchmachen musste.
    «Patterson», sagte Freek, «schlägt diesen Geesink mausetot.»
    «Nein, eben nicht, Papa», wiederholte Siem, «darum erzähle ich Ihnen das ja alles, ich möchte Sie nämlich fragen, ob ich Judo machen darf. Das möchte ich so gern. Es gibt einen guten Verein an der Oude Delft. Ich habe schon ein paar Probestunden gemacht.»
    Bei dem Wort «Probestunden» ging eine Bewegung durch den Körper seines Vaters, eine Erschütterung, als säße er in einem Zug, der über eine Weiche fährt. «Wie heißt der Lehrer?», fragte er barsch.
    Oft musste er an das denken, was sein Vater gesagt hatte, als Freek mit einem Peitschenkreisel den Fuß von Jet Kolf durchbohrt hatte, die eiserne Spitze war durch ihren Schnürstiefel hindurch in den Fuß gedrungen. Blut spritzte heraus. Jemand war ihn holen gegangen, er wusste nicht, wer, sein Vater war ohne Mantel zum Beestenmarkt gerannt. «Ich hab’s ja gesagt», schnauzte er, während er Freek eine ordentliche Tracht Prügel verabreichte, «dass ich euch alle aufs Internat hätte schicken sollen.»
    «Sie meinen unseren Sensei, Papa. So nennen die Japaner das.»
    «Ich frage, wie der Mann heißt.»
    «Er heißt Herr Vloet.»
    Sein Vater schüttelte den Kopf, als hieße Herr Vloet nicht Herr Vloet. «Mein

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