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Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Buwalda
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und bohrt sich durch die Frontscheibe. Als der Anhänger umkippt, wird das Auto in die schneebedeckte Böschung geschleudert, als wäre es eine leere Bierdose. Die junge Frau ist enthauptet. Der Bruder, der am Steuer gesessen hat, kommt mit einem verstauchten Handgelenk davon.
    Der junge Mann erzählte das beherrscht. Er saß kerzengerade in seiner Bank. Siem stand an der Tafel und betrachtete ihn, er trug ein Hemd mit breitem Kragen, und während er redete, strich er immer wieder dieselbe Seite seines mit Zahlenreihen gefüllten Rechenhefts glatt. «Zufall, was?», sagte er. In den Wochen danach kam er nicht mehr ins Seminar. Am Kaffeeautomaten wurde darüber spekuliert, ob er selbst dieser Bruder war.
     
    Was wollte Sigerius ihnen beibringen? Und jetzt, was wollte er sich selbst sagen? Dass die Wahrscheinlichkeit von Unwahrscheinlichkeiten groß ist? Dass der angeblich bizarre Zufall sich alle naslang ereignet. Dass von einem Mathematiker erwartet wird, das Bizarre daran auf einen Zahlenwert zu bringen, soll heißen: die Zufälligkeit auf ihre reine Wahrscheinlichkeit zu reduzieren, statt ihr eine magische Bedeutung zuzuschreiben. Er starrt auf den Regen, der an den Fenstern des Restaurants herabströmt, in dem die Taskforce versammelt ist. Der hell erleuchtete Raum ist schmal und hat etwas von einem Linienbus in einer Waschanlage. Die Krebse und Krabben in der geschmacklosen Wand neben dem Eingang, die aus übereinandergestapelten Aquarien besteht, hoffen insgeheim auf eine Sintflut, die die Machtverhältnisse auf den Kopf stellen wird. Sie haben Rostflecken auf ihren Scheren, und manchmal bewegt sich eins von ihnen, als verspürte es ein Jucken.
    Er versucht, sich auf das Gespräch mit Hiro Obayashi zu konzentrieren, seinem linken Nachbarn an dem Resopaltisch, um den sich die Gesellschaft von elf Wissenschaftlern zusammengefunden hat. Schon seit Jahren essen sie jeden Samstag nach ihrer Nachmittagssitzung in der Jiaotong University an diesem Tisch in diesem Restaurant an der Huaihai Zhong Lu zu Abend. Und normalerweise genießt er es, so wie er diese Vergnügungsreisen nach Shanghai überhaupt genießt, denn das sind sie natürlich. Mitglied in der Asian Internet Society wurde er, lange bevor man ihn zum Rector magnificus ernannte, und eine seiner Bedingungen, die er vor Amtsantritt stellte, war, dass diese «wertvolle Beziehung zu Asien» erhalten blieb. Sie sei von außerordentlicher Bedeutung für den Rang der Tubantia University, legte er dar und noch weiteres mehr. Natürlich verstünden sie das, das liege doch auf der Hand. Ganz so, wie er wolle. Geschwätz, das war es, doch schon damals wusste er, dass er sie brauchen würde, seine Trips nach Shanghai. Kurz mal weg vom Campus, raus aus dem Glashaus.
    «Wenn ich ehrlich bin», sagt er, «fand ich diese Rätsel ein bisschen … wie soll ich sagen … ein bisschen langweilig.»
    Die Augen Obayashis, seines Zeichens Professor für Informationstechnologie an der Universität von Tokio, sind weit aufgerissen, seine Haut spannt sich wie eine mayonnaisegelbe Maske über seinen breiten Schädel.
    «Aber vielleicht bin ich auch nicht der Richtige, um das zu beurteilen.» Sigerius wischt sich den Mund mit der Serviette ab und schaut sich, Obayashis Blick ausweichend, um. Wie jedes gediegene Lokal in China ist auch das potthässlich. Die Beleuchtung ist erbarmungslos, besonders jetzt, nachdem jemand ein Deckbett über Shanghai gebreitet hat, der Einrichtung fehlt jeder Plan: Kein Tisch hat dieselbe Form oder Höhe, sogar die flackernden und summenden Neonlampen, aus denen Röntgenlicht auf die dampfenden Schüsseln mit dem im Übrigen phantastischen Essen fällt, stammen aus verschiedenen Staatsfabriken verschiedener Epochen. Am Tisch neben ihnen schlemmt eine Gesellschaft aus lautstarken chinesischen Männern – Geschäftsleute, ganz zweifellos: Hemdsärmel mit verschwitzten Achseln, gelockerte Krawatten, Schmatzen, Rülpsen, über die Schulter geworfene Knochen, kehliges Geschrei.
    Obayashi nickt. Er legt die Stäbchen auf den Tisch und starrt schweigend in seine Plastikschüssel voller Reis.
    «Ich meine», präzisiert Sigerius seine Antwort, «es könnte sehr gut sein, dass andere Niederländer, und folglich auch andere Europäer, diesen Rätseln durchaus etwas abgewinnen.»
    Sein Tischnachbar hebt den kurz geschorenen Kopf und schaut zur anderen Tischseite hinüber, wo John Tyronne sitzt und sich mit Ping unterhält. «Aber weißt du einen Verleger

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