Bonita Avenue (German Edition)
zusammengerollter Blätter, der Geruch von nasser Erde und Fäulnis dringt in seine erkältungsbedingt verstopfte Nase. Abgesondert von der Welt, geht er über die feuchte Asche der spärlich beleuchteten Vierhundertmeterbahn, die von einem breiten Ring aus tanzenden Erlen- und Haselnusssträuchern abgeschirmt ist. Er hat alles auf Wilbert geschoben, selbstverständlich hat er das getan, und auch ohne jeden Skrupel. Der Schurke verdient es, auf diese Weise ist er zumindest einmal zu was nutze. Jetzt, da er in relativer Ruhe darüber nachdenkt, kommt ihm Wilberts Einmischung gar nicht so nachteilig vor – solange er selbst Regie führt natürlich, das darf er nicht vergessen.
Den Wortwechsel, der darauf folgte, erlebte er als etwas, das aus dem Ruder lief. Tinekes Überzeugung, dass der Umschlag nicht für ihn gedacht war, schien eine Art von ins Wanken geratenem Selbstbetrug zu sein. «Siem», sagte sie sofort, «hast du damit etwas zu tun? Du willst mir doch nicht etwa erzählen, dass du keine Ahnung hast, was das soll?»
Die Lösung bot sich ihm an wie ein mathematischer Beweis, logisch, unwiderlegbar, organisch … «Ja, Liebling, na klar, ich weiß, was das soll», gab er zu, aber anstatt bei A anzufangen, legte er ungefähr bei Z los, ziemlich unverstellt, wie er fand, und doch aufs Geratewohl nach vorn flüchtend, wobei er sich immer wieder dazu ermahnte, möglichst nah bei der Wahrheit zu bleiben. Mit bedrückter Stimme erzählte er ihr, er habe die ersten SMS-Nachrichten bereits im Sommer bekommen, nicht einmal eine Woche nachdem Menno Wijn bei dem Empfang aufgetaucht sei. Anfangs habe er keine Ahnung gehabt, von wem sie stammten, und auch nicht, worauf sie abzielten, doch irgendwie beunruhigt habe ihn das Ganze schon. Joni sei eine Hure, habe man ihm schließlich eröffnet, ob er das wisse und dass es seine verdiente Strafe sei, ja, richtig widerlich sei das gewesen. Etwas später habe er dann – «und jetzt kommt es, Tien, halt dich fest, das ist sehr unschön» – eine SMS mit der Adresse einer Website bekommen, da solle er mal nachsehen, und das habe er dann getan.
«Und? Was hast du da gesehen? Worauf willst du hinaus? Siem, nun red nicht so verklausuliert! Was ist los?»
«Das erkläre ich dir ja gerade, Liebling», hatte er gesagt und ihre Hand in seine genommen. Auf das, was er ihr dann von der Website erzählte, reagierte sie relativ gefasst, vielleicht weil er so gelassen darüber berichtete, beschönigend, da er das Wort «Porno» umschiffte, und gleichzeitig lenkte er sie mit seiner angeblich sofort aufgekommenen Vermutung, dass Wilbert hinter den Nachrichten stecke, vom Thema wieder ab – am besten schießen wir uns auf diesen Unglücksboten ein. «Ach», sagte er, «ich habe mich ganz fürchterlich erschreckt, denn zu meinem großen Erstaunen stimmte es, Tien, es gab eine solche Website, und obwohl ich es zunächst nicht glauben konnte, war da tatsächlich Joni zu sehen.»
Das Merkwürdige war, dass sich ihre Entrüstung weder gegen Wilbert richtete (wahrscheinlich war sie an seine Schweinereien viel zu sehr gewöhnt) noch gegen Aaron und Joni (das mit ihnen schien nur halb zu ihr durchzudringen), sondern sie richtete sich gegen ihn . Warum erzählst du mir das jetzt erst? Es war wirklich viel auf einmal, natürlich: der aggressive erotische Krempel, der zwischen ihnen lag, dieses Dreckswichser-Geschimpfe. («Warum nennt er dich so?» «Du weißt doch, wie unflätig er ist.» «Verschweigst du mir was? Siem? Was hast du angestellt?» «Ich? Gar nichts, Liebling, beruhige dich.») Ja, auf der Frage, wieso er geschwiegen hatte, darauf hackte sie herum, auf der gähnenden Lücke zwischen Mai 2000 und jetzt. «Ein halbes Jahr, Siem.»
Er gelangt zum Wall, der das Schwimmbad des Campus von der Laufbahn abgrenzt. Zwischen kleinen Sträuchern und Brennnesseln hindurch geht er den Pfad zur höchsten Erhebung hinauf, wo einer seiner Vorgänger mit großem Pomp eine Bank hat aufstellen lassen. Hierhin kam er gelegentlich, wenn er eine schwierige Entscheidung fällen musste.
Tineke fragte: «Hast du sie mit der Geschichte konfrontiert?»
«Ja», sagte er kurzerhand, denn so war es doch auch? Seine Frau saß einen Meter von ihm entfernt und starrte sichtlich bestürzt vor sich hin. Dann: «Wie kommst du nur auf den Gedanken, mir nichts davon zu erzählen? Findest du das normal?»
«Ich wollte dir das ersparen, Liebling, ich wollte –»
« Was wolltest du mir ersparen? Die Wahrheit?
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