Bonita Avenue (German Edition)
trinkt. Und fabuliert, womit er die kreative Form des Lügens meint. Margriet Wijn erzählt keine halben Wahrheiten oder gewöhnliche, banale Lügen, sie lässt neue Wirklichkeiten wachsen und gedeihen.
«Und diese Frau schwängerst du auch noch.» Janis.
«Dieses Mädchen. Ja.»
Alle Argumente, die er anno 1970 dafür anführen kann, kein Kind zu zeugen, Zigaretten holen zu gehen, auf einem Schiff anzuheuern, schreibt er untereinander, als gelte es, eine Rechenaufgabe zu lösen – die wichtigste seines Lebens, so viel ist ihm inzwischen klar. Er zählt brav alles zusammen, und zu seinem Erstaunen steht unter dem Strich: Schwängere sie .
Morgens um halb sieben klingelt sein Telefon. Tineke. Ehe er rangeht, atmet er tief ein und aus.
«Warum rufst du so früh an?» Seine Stimme klingt heiser. Er ist auf alles Mögliche gefasst, er hat kaum geschlafen.
«Janis duscht gerade. Wir fahren gleich los.»
«Was sagst du zu den Fotos?»
Sie lacht, ein leicht mitleidiges Kichern, das auf ihn irgendwie gezwungen wirkt. Dann sagt sie: «Du hast dich an der Nase herumführen lassen. Es ist ein hübsches Mädchen, das gebe ich zu, dazu noch ein ausgesprochen ordinäres Luder, kein Kind von Traurigkeit jedenfalls, und sie ähnelt Joon tatsächlich ein bisschen. Aber sie ist es nicht.»
Er schweigt verblüfft.
«Abgesehen davon, dass sie es eben einfach nicht ist», sagt sie, «hat sie außerdem noch hellblaue Augen und vollkommen anderes Haar. Sie ist es nicht.» Wieder lacht sie. Einen Moment lang erscheint es ihm klug, mitzulachen, wie man mit einem Schwachsinnigen mitlacht, hält er es für wichtig, so zu tun, als werde ihm erst jetzt alles klar, als falle es ihm wie Schuppen von den Augen. Stattdessen aber seufzt er.
«Hast du nichts dazu zu sagen? Dein Flittchen, Siem, ist eine Amerikanerin. Woher hast du die Fotos eigentlich.»
«Stell dich nicht so dumm», schnauzt er. «Ich habe doch mit ihr gesprochen. Ob sie es ist, steht außer Frage. Bist du noch ganz bei Trost?»
«Bist du noch ganz bei Trost? Du hast sie falsch verstanden, das kann gar nicht anders sein. Ich denke, du warst in Panik, und deshalb hast du alles falsch interpretiert. Wilbert hat dir einen fürchterlichen Schreck eingejagt. Das Ganze ist ein mieser Streich. Das denke ich.»
Obwohl er erwartet, dass die dünne Schicht Selbstbetrug jeden Moment klirrend zu Boden fällt, bleibt Tineke dabei. Sie meint es so. Das ist nicht Selbstschutz, es ist Überzeugung. «Du hast selbst gesagt, dass es ein kurzes Gespräch gewesen ist», hört er sie sagen, «du warst natürlich angeschlagen, vielleicht auch wütend, was weiß ich. Warst außer dir, wegen dieses Mistkerls. Du irrst dich, mein Lieber. Wirklich. Soll ich sie anrufen?»
«Untersteh dich», fährt er sie an. Sie schweigt – verdattert, glaubt er zumindest.
«Entschuldige», sagt er. «Ich rufe sie an. Liebling. Lass mich das erledigen. Fahr du ruhig nach Frankreich.»
Er selbst muss gleich nach Leiden, um dort einen Kongress des Landesweiten Netzwerks weiblicher Hochschullehrer zu eröffnen. Er schaltet das Lämpchen an; noch einmal einzuschlafen ist nicht drin. Er setzt die Füße auf den kalten Fußboden und nimmt die Rede aus der Aktentasche, die er hat schreiben lassen. Wieder im Bett, lässt er die Blätter vor sich auf der Decke liegen.
Hat er wirklich vor, einhunderttausend Gulden am Strand von Scheveningen zu vergraben?
Eine Stunde später dirigiert er seinen Chauffeur nicht sofort nach Leiden, sondern zuerst durch den morgendlichen Haager Berufsverkehr zu der Filiale von MeesPierson. Widerwillig hatte er sich eine Notlüge für das Geld ausgedacht, irgendetwas mit Gemälden und Auktionshäusern in Nizza und Marseille, gute Adressen, wo die Händler gerne in bar bezahlt werden, eine Geschichte, die sich als ausreichend erwies. Während der Volvo mit laufendem Motor parkt, betritt er die Bank mit einer kleinen ledernen Puma-Tasche, die er am Denneweg gekauft hat. Die junge Frau am Informationstresen ruft jemanden an, woraufhin ein lächelndes Mädchen erscheint, das ihn in ein nach neuem Teppichboden riechendes Besprechungszimmer führt. Dort zählt sie mit Fingernägeln, auf die Palmen gemalt sind, einhundert Tausendguldenscheine vor ihm auf den Tisch, einen Stapel von nicht einmal anderthalb Zentimetern Höhe; er schämt sich der lächerlichen Sporttasche wegen.
Ungefähr anderthalb Stunden später spricht er mit einhunderttausend Gulden in der Tasche vor dreihundert
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