Bonita Avenue (German Edition)
Professorinnen, beantwortet Fragen über den im internationalen Vergleich beschämend niedrigen Frauenanteil in der niederländischen Professorenschaft, über die Transparenz der Berufungsverfahren, die soziale Undurchlässigkeit in akademischen Spitzenpositionen, und seltsamerweise sinkt dort, auf dem Podium, während der Diskussion mit dem Publikum, Erlösung auf ihn herab. Ist es denn wirklich so einfach?, denkt er ungeachtet des ganzen Wirbels um ihn herum. Ausgerechnet jetzt, mit einem Mikrophon vor der Nase, als lebendes Exponat vor zweihundert skeptischen Frauen, gelangt er zu einer wertvollen Einsicht. Jonis leibliche Mutter erkennt sie nicht! Er sagt: Hier, es tut mir leid, aber das ist deine Tochter, und sie erwidert: Lass dich mal durchchecken.
«Was es in den Niederlanden nicht mehr geben darf», sagt er, «sind Dekane und Lehrstuhlinhaber, die Professoren ernennen dürfen. In Ländern wie Amerika und Norwegen fängt man als assistant professor an, und ob man es zum Hochschullehrer bringt, hängt von der Anzahl deiner Publikationen ab und nicht von deinem Chef.»
Sie erkennt ihre eigene Tochter nicht. Kann jemand es sein, wenn keiner ihn erkennt? Eher nicht. Wenn Tineke nach so einem Geständnis, nach diesem frankierten Dildo wohlgemerkt, immer noch nicht glaubt, dass Joni auf den Fotos zu sehen ist, dann ist sie es auch nicht. Außer ihm hat niemand sie von sich aus darauf erkannt. Und auch er hat es erst geglaubt, als er auf dem Dachboden war. Sie ist es, und sie ist es nicht, ein Fall von Sein und Nichtsein, Welle und Teilchen. «In Norwegen und den USA», sagt er, wobei sein Herz vor Erregung fast versagt, «hindert kein Mensch einen anderen Menschen am Fortkommen, und genau das ist es, was wir auch in den Niederlanden anstreben müssen.»
Natürlich ist sie es nicht! Der Applaus, der aufs Podium zubrandet, auf dem er hinter seinem Katheder steht, ermutigt ihn, legitimiert sein Grinsen, überflutet ihn mit Erleichterung; er kann nicht anders, er muss lachen. Fahr zur Hölle, Wilbert. Sie ist es nicht! Siehst du das nicht? Ruf deine Stiefmutter an, du Mistkerl. Hast du Dreck in den Augen? Du siehst doch, dass sie es nicht ist. Wilbert Sigerius, gerade dem werden sie glauben. Nein, eben nicht. Triumphierend nimmt er eine Flasche Wein in Empfang und denkt: Könnte ich nur mit Joni sprechen. Wenn er ihre Nummer hätte, würde er sie jetzt anrufen: Liebes, hör zu, vergiss, was geschehen ist. Ich weiß nicht, ob du es bereits gehört hast, aber du bist es nicht. Mama und ich wissen das ganz genau. Komm bitte nach Frankreich, und bring Aaron mit. Sag ihm, dass du es nicht bist.
Exakt eine Woche später erledigt er auf dem beheizten Rücksitz des Volvo zwei letzte Anrufe. Draußen verwandeln sich Haager Straßen mit eingelassenen Trambahnschienen und abweisenden Herrenhäusern allmählich in Außenviertel und Industriegebiete mit schwarz glänzenden Bürogebäuden. Die Stille, die ihn umgibt, der Dezemberabend von der Tiefe einer Nacht, die schweigende Kraft hinter dem Steuer, die ihn, gleichmäßig atmend, durch den abendlichen Berufsverkehr zur A12 lotst – innerhalb kürzester Zeit legt er das Ministersein ab. Er sehnt sich nach dem, was das Königreich der Niederlande so vielversprechend den Weihnachtsurlaub nennt, sein Dienstwagen, der ihn vom Binnenhof nach Enschede bringt, ist ein Schieber auf einem Mischpult, er spürt, wie er sich mit jedem Kilometer Stück für Stück wieder in einen Familienmenschen verwandelt, mitgenommen zwar, aber dennoch in Vorfreude auf die Feiertage in einem französischen Wintersportort.
Obwohl er es nicht erwarten kann, hinter Janis her einen Alpenhang hinunterzuwedeln, freut er sich auch auf jetzt gleich, auf einen Abend allein in seinem eigenen Haus, mit seiner Musik, den Schlaf in seinem eigenen Bett. Sieben Nächte ist er seine Satyrn jetzt los, doch auch Freiheit kann ermüdend und fordernd sein. Nach dem Applaus der Professorinnen brachen ekstatische Tage an, Tage der Verwirrung, seine Gedanken schienen sich in einen eigenen Skiurlaub verabschiedet zu haben: Nachdem er am Abend in seinem Apartment seine triumphale Wut mit dem Cabernet Sauvignon, der ihm auf dem Kongress überreicht worden war, gelöscht hatte, schrieb er mit Kugelschreiber auf einem Block des Ministeriums ein absurdes Schuldbekenntnis an Aaron und Joni, in doppelter Ausführung, einen Brief, den er wirklich abschicken wollte, dann aber, als er ihn am nächsten Morgen auf der eiskalten
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