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Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Buwalda
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Scheveningen gefahren, ohne das Geld, aber mit der felsenfesten Absicht, am Strandpfahl 101 auf seinen Sohn zu warten. Es erschien ihm nicht unlogisch, dass Wilbert noch am selben Abend die Beute ausgraben würde, und die Gelegenheit wollte er nutzen. Er muss es schaffen, Aug in Aug mit ihm zu reden, ihn vielleicht zur Vernunft zu bringen. Dahinter verbarg sich der Wunsch, besser einschätzen zu können, wie groß die Gefahr war, wie aggressiv der Junge wirkte; bevor er aus der Tür gegangen war, hatte er in seiner Behelfsküche ein spitzes Tomatenmesser in der Hand gehalten, doch beschlossen, es nicht mitzunehmen. Natürlich wollte er Wilbert vor allem klarmachen, dass er keine Beweise hatte, dass man in der Familie einander nicht erpresst – aber gewaltlos und mit dem Vorsatz, ihm zu verstehen zu geben, dass er dazugehörte, zur Familie, wie auch immer, trotz allem, ungeachtet der Vergangenheit. In seinem Kopf führten sie dieses merkwürdige Gespräch, Vater und Sohn, ein Gespräch, das harsch begann und wahrscheinlich auch harsch enden würde. Dennoch wollte er ihm erneut die Hand reichen.
    Da stand er also, am 14. Dezember 2000 um 20 Uhr, am stockfinsteren Strand von Scheveningen, zitternd vor Kälte, in Wirklichkeit aber vor Nervosität. Mit der eisigen Brandung im Rücken schlenderte er um Pfahl 101 herum, hin und wieder dem salzigen Stück Holz einen Tritt verpassend, um Spannung abzubauen, und in Gedanken damit beschäftigt zu wiederholen, was er nachher sagen wollte, wobei er ständig die dunklen Dünen beobachtete, bis er die unterschiedlichen Schwarztöne genau kannte: wimmelnde Finsternis, in der sich nicht wirklich etwas veränderte. Wilbert kam nicht. Er wartete, bis es zehn Uhr war, elf Uhr, das Meer näherte sich ihm, das schon – und dann erklärte er sich für verrückt. Sentimentaler, naiver Sack, der du bist.
    Das Wochenende verbrachte er in Den Haag, im verlassenen Enschede erwartete ihn nichts. Am Wohnzimmertisch des fremden Apartments arbeitete er ein wenig, die sandigen Schuhe auf einer Zeitung, und zu seinem Erstaunen hörte er nichts mehr von Wilbert, nada , keine SMS über nicht vergrabene Taschen mit Geld, nicht einen Mucks, und als die letzten Tage vor dem Weihnachtsurlaub über ihn hinwegrollten, lange Arbeitstage, die von Weihnachtsfeiern und kurz vor Toresschluss gefällten Kabinettsentscheidungen zusammengehalten wurden, da überkam ihn ein allumfassender, beinahe existenzieller Zweifel : Vielleicht war er ja wirklich paranoid gewesen, wer garantierte ihm denn, dass Wilbert überhaupt hinter der Erpressung steckte? War er nicht vielleicht doch das Opfer eines anonymen Wahnsinnigen, der auf irgendeine Weise von Jonis Machenschaften erfahren hatte? Und ihm einen gehörigen Schrecken einjagen wollte? Willkommen in der Haager Wirklichkeit. Auf eine seltsame Weise fühlte er sich provinziell, als er am Dienstagnachmittag in derselben Filiale von MeesPierson die unangetasteten einhunderttausend Gulden wieder einzahlte. Vielleicht lebte er schon seit Wochen in einer Schuld-Phantasmagorie, vielleicht sagten seine Ängste etwas aus über sein schwer belastetes Gewissen, vielleicht setzte sein irrsinniger Nachkomme ihm derart zu, dass er darauf mit Beziehungswahn reagierte.
     
    Sein Chauffeur und er haben eine Methode gefunden, Musik im Auto so abzuspielen, dass vorne kaum etwas zu hören ist, dafür hinten umso mehr. Sigerius hört sich Everybody Digs Bill Evans an, von allen Trioplatten seine liebste, vorwärtsjagende, virtuose Up-tempo-Stücke, die sich abwechseln mit meisterhaft kontrastierenden, Satie-artigen, tja, wie soll man sie nennen? Nocturnes? Aaron – wie mochte es ihm gehen. Auf dem letzten Autobahnstück nimmt er sich erneut vor, Joni eine E-Mail zu schicken, am besten, noch bevor er morgen nach Frankreich abfährt. Es muss eine Mischung aus einem ernsten Ansatz und dem ins Fallrohr gespülten Besoffenenbrief von vor einer Woche sein, eine Nachricht, in der er auf eine intelligente, taktische, väterliche Weise versuchen will, die Dinge in Ordnung zu bringen, ein Brief, aus dem alles Mögliche hervorgehen muss: dass er ihr Geheimnis bewahrt hat, dass er sie nicht mehr verurteilt, dass jeder Jugendsünden begeht.
    Er lässt sich am Haupteingang des Campus absetzen, das letzte Stück möchte er zu Fuß zurücklegen. In der einen Hand den Laptop, in der anderen seine Arzttasche voller Akten, so geht er am Verwaltungsflügel vorbei, ohne besondere Emotionen schaut er zum

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