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Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Buwalda
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erlosch. Bis Hyères fuhr ich hundertsechzig. Dort endete die Autobahn, und die Kopfschmerzen begannen. Die Küstenstraße, die auf der Karte verlockend kurz aussah, erwies sich in Wirklichkeit als Dünndarm: endlose Kurven um felsige Klippen, ich musste ständig bremsen und beschleunigen. Das Mittelmeer war nicht azurblau, sondern zeigte sein wahres Gesicht: die gleichgültige schwarze Pfütze, die es tatsächlich ist. Ich ließ ein Fenster herunter, die eiskalte Seeluft schraubte sich um meine pochenden Schläfen. Abfahrt Saint-Tropez, nun war es nicht mehr weit. Sobald ich in Sainte Maxime ankommen würde, wollte ich den Alfa ins Hafenbecken schieben, so nahe wie möglich an die Barbara Ann. In Gedanken sprang ich ins Wasser und schwamm wie ein Delphin zum Arzneimittelschränkchen.
    Ich bog um eine Felswand und plötzlich, rechts in der Tiefe: weiße filigrane Schiffe an etwas, das wie eine endlose Reihe gedeckter Tische aussah. Mit überhöhter Geschwindigkeit fuhr ich über eine Brücke und dann weiter abwärts, bis zu dem Punkt, wo die quälende Route Nationale in den Strandboulevard überging, an dem der Yachthafen lag. Ich sang inzwischen vor Schmerzen, ein melodieloses Gejammer.
    Hier hatte der Winter das Sagen, auf den Terrassen gegenüber den Anlegern stapelten sich Stühle und zusammengeklappte Sonnenschirme, ich konnte zwischen zahllosen Parkplätzen wählen. Ich schaltete den Motor aus, endlich Stille, ließ Kopf und Schultern kreisen. Ein paar Sekunden lang stand fest, dass ich mich übergeben würde. Ruhig atmen. Die Haare lösen, jetzt. Wieder Luft holen, schlucken, einfach wegschlucken, ich trank einen Schluck Mineralwasser und stieg aus.
    Der Seewind blies durch meinen Mantel und das Wenige, das ich darunter trug, hindurch. Wo lag das Schiff? Von dem glasierten Kitsch, den dieser Yachthafen bei dreißig Grad ausstrahlte, war wenig übrig. Die Reihen winterfester Yachten präsentierten sich von ihrer schroffsten Seite, der gefaltete weiße Kunststoff, das polierte Holz, die getönten Fenster, all das, was Geschwindigkeit und Luxus zum Ausdruck bringen sollte – es waren schwimmende Beleidigungen, unverschämte Frechheiten an die Adresse von Genügsamkeit und Selbstbeherrschung, die wir von uns abgeworfen hatten.
    Aaron verdarb das Ganze. Was war das für ein Vater? Wer wollte so einen Mann zum Vater machen? Alles war mir so schlüssig vorgekommen, wir beide zusammen nach Val-d’Isère, unangekündigt, eine Überraschung konnte man es nicht mehr nennen, es würde … ich ging über den gemauerten Rand der Kaimauer zum Hafenbüro, ein niedriges weißes Gebäude mit einer Terrasse auf dem Dach. Die Tür war abgeschlossen. Außerhalb der Saison nur zwischen drei und fünf geöffnet. Prima, kein Radebrechen mit einem unverständlichen Hafenmeister. Ich stellte mir vor, wie wir einfach auf gut Glück in den Kreis der Familie zurückkehren würden, sah uns in das Chalet von Hans und Ria eintreten, ernst, aber guter Dinge. Einen Augenblick lang betrachtete ich mich selbst im Fenster des Büros: strubbeliges, verwehtes Haar um ein käsiges Gesicht, sich nach Mitleid sehnend. Dasselbe Mädchen, das von der Schule zum Campus radelte, im freien Fall Richtung Mutterschaft. Von meiner eigenen Mutter hatte ich die Migräne, doch die Vererbungslinie hatte der Empathie nicht Vorschub geleistet. «Ich habe auch schon mal Kopfschmerzen, Joni. Du kannst sehr wohl normal reden.»
    Wenn er mich so sehen würde, seine ältere Tochter, schwanger, dann würde alles Trennende zwischen uns wegfallen, darauf vertraute ich. Über den vergangenen Sommer bräuchten wir kein Wort mehr zu verlieren, oder gerade doch, vielleicht würden wir inmitten der Jahrmillionen alten Berge über die Ereignisse ja sprechen können. Das läge ganz bei uns. Wir würden das Beste daraus machen. Und im neuen Jahr würden Aaron und ich in sein Auto steigen und zum Bauernhaus fahren. Und wie nach der Feuerwerkskatastrophe würden wir bleiben. Ich würde mein Kind im Bauernhaus meiner Eltern zur Welt bringen.
    Mit pochenden Schläfen angelte ich den Kajütenschlüssel aus meiner Tasche und betrat den dritten Anleger; wenn ich mich recht erinnerte, lag es dort. Und tatsächlich entdeckte ich ziemlich weit hinten, hinter einem Fünfundvierzig-Grad-Knick des Stegs, zwischen den anderen Prachtbooten das Schaukeln eines bekannten Hinterteils. Der Luxusarsch der Barbara Ann. Mit schnelleren Schritten ging ich am schwarzen Wasser entlang, die Zähne

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