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Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Buwalda
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den stellvertretenden Schuldgefühlen erzählt, die seine Jugend geprägt hatten. Seitdem meinte ich, mir sein ununterbrochenes Gelächel erklären zu können. Im Ruhezustand hatte sein gleichmäßiges Gesicht zierliche Furchen, sie umrundeten seinen lippenlosen Mund, fältelten die Winkel seiner mausgrauen Augen – Furchen, die seltsamerweise verschwanden, wenn er lachte, was er oft und aufs Geratewohl tat, so oft, dass Lächeln der eigentliche Ruhezustand seines Gesichts war.
    «Ich kann es nicht», sagte er mit der dünnen Stimme des B-Klasse-Schauspielers, der Kummer zum Ausdruck bringt. Er ließ sein Rückgrat an der Wand entlang hinabrutschen, bis er auf seinem kleinen irischen Arsch saß, den Hinterkopf gegen den überstrichenen Beton, gleich unterhalb der roten Linie.
    «Verstehe ich dich richtig, Rusty?»
    «Ich kann es einfach nicht.»
    «Was kannst du nicht?»
    «Ein so großes Risiko eingehen.»
    Ich glaubte, nicht richtig gehört zu haben. «Und deine Immobiliengeschichten?» Schon seit Jahren ließ er den reichen Macker heraushängen mit seinem Gangsterhaus in Bel Air, den fünf, sechs anderen Gebäuden, die er gekauft hatte, um damit zu spekulieren, allesamt in Beverly Hills oder am Sunset. Ich selbst hatte ihm dank einer Bonusvereinbarung ein wahrhaft phantastisches Haus abgekauft, das, von meterhohen Pfeilern gestützt, halb aus einer Bergwand ragte, ein Frank-Lloyd-Wright-Klon am Anfang des Sunset Boulevard, den er gern «in der Familie» halten wollte. «Und was ist mit deinem Rembrandt?» Er klapperte Kunstauktionen ab. Im Holländische-Meister-Flügel des Getty hing ein kleines Bild, eine Badezimmerkachel, mehr war es nicht, aber es war doch ein Rembrandt, ein wirklich echter, und dieser wirklich echte Rembrandt gehörte Rusty Wells. Risiken eingehen? Rusty vernichtete Dollars.
    «Das ist etwas anderes», sagte er, «das ist Privatsache.»
    Um 2000 herum war er mit einem Schlag reich geworden, als er kurz vor dem Dotcom-Crash eine Datingsite verkaufte. Er erzählte gern, dass er gleich nach der Transaktion aus seinem Zwei-Zimmer-Apartment in Redondo Beach gestürzt und in ein Taxi gestiegen sei und dem Chauffeur aufgetragen habe, ihn zum Mulholland Drive zu bringen, er wolle Bäume sehen, und zwar schnell, aber bei den zum Verkauf stehenden Villen solle er bitte Schritttempo fahren. Als er das Haus sah, das er haben wollte, war er ausgestiegen und hatte den Leuten das Anderthalbfache des verlangten Preises geboten, «Sie haben noch an diesem Abend Ihr Geld!» – unter der Bedingung, dass sie danach sofort ihren Krempel packten. In das Loch in Redondo Beach war er nie wieder zurückgekehrt, er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, es zu verkaufen, vermutlich, sagte er, stehe das schmutzige Geschirr von damals immer noch dort herum – aber das hielt ich für Unsinn, genau wie das, was er mir jetzt erzählte.
    Ich ging vor ihm in die Hocke und sah ihm durchdringend in die hellen Augen. «Wo ist der Draufgänger, der mich innerhalb von fünf Minuten dazu gebracht hat, bei McKinsey zu kündigen?», sagte ich in hitzigem Flüsterton. «Wo ist der energische Rusty Wells geblieben?»
    Er blinzelte nervös, seine Augenlider wirkten der blonden Wimpern wegen ein wenig zu kurz.
    «Wie, glaubst du, ist eBay groß geworden? Und Amazon? Indem man sich in die Hosen gemacht hat?»
    Anstatt mir ordentlich Kontra zu geben, was ich vielleicht verdient hätte, platzte er mit der Geschichte von seinem Vater heraus. «Wenn du unbedingt über Belfast reden willst», sagte er, «mein alter Herr …»
    Ich weiß noch, dass ich dachte: Wenn ich auf irgendwas keine Lust habe, dann ist es eine sentimentale Geschichte über deinen Vater. Im San Fernando Valley haben die Leute keine Eltern. Vergiss sie, wollte ich sagen, das tue ich auch – aber ich beherrschte mich.
    «Mein Vater», murmelte er, und noch immer habe ich den Verdacht, er schauspielerte nur, «mein Vater war zwanzig Jahre lang Angestellter, Vertreter für Linoleumfußböden. Island? Neuseeland? Indonesien? Rollschuhbahnen aus Linoleum – das sagte er jedem, der es hören wollte. Wenn er zufällig mal zu Hause war.»
    Ich muss sagen, dass ich die Geschichte, die er darauf folgen ließ, ungern verpasst hätte. Bis zu diesem Moment, so wurde mir klar, hatte Rusty wie ein Ägypter auf einer Papyrusrolle gesessen, ein totaler Aufschneider mit allem Drum und Dran, aber primitiv. Er stieg davon herunter, indem er mir erzählte, dass sein Vater zeitlebens

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