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Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Buwalda
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Weise einer maurischen Festung. Gut sechzig Jahre lang hatte auf den vierunddreißig Meter hohen Ecktürmen die Fahne der Nationalgarde geweht, bei Víctor Sotomayor flatterten drei Stars-and-Stripes und eine Flagge Kubas. Hinter den Zinnen waren Rekruten ausgebildet, in den bleibewehrten Kellern Munition und Material gelagert worden. Die Fassaden hatten ein raues, abweisendes Äußeres, nach jedem fünften normal verbauten Ziegelstein ragte einer quer hervor, manchmal schräg, manchmal halb abgebrochen. Auf dem drill court , der sich unter einem großen, zylinderförmigen Dach verbarg, standen sich in den dreißiger und vierziger Jahren Boxer gegenüber, wusste ich zu berichten, «Joe Louis und Max Schmeling», sagte ich, woraufhin Rusty Boxbewegungen machte. 1978 hatte die Armee das Areal verlassen, und seitdem standen die einhundertsechzig Räume leer – steinerne Schlafsäle, walnussholzgetäfelte Esszimmer, eichenhölzerne Ballsäle, Treppenhäuser, eine Großküche, ein Schwimmbad, ein In-door-Schießstand, Badezimmer, Maschinenräume, Keller, Kerker. Alles für Rusty.
    Meine Vermutung bestätigte sich. Ich sah, wie er während unseres Streifzugs durch das Labyrinth, ein Fußmarsch von gut einer Stunde durch die verdreckten Hallen der Barracks, durch die Büros, in denen auf sich durchbiegenden Regalbrettern halbvergammelte Ordner standen, durch die Offizierszimmer mit den vergessenen Regimentsjacken auf verstaubten Stühlen, immer gelöster wurde; seine Schritte begannen zu hallen, sein Blick bekam etwas Habgieriges, er plauderte immer munterer mit Sotomayors Mäuschen. Als wir wieder auf dem überdachten, vier Eishockeyfelder großen drill court angekommen waren, sagte es: «Hier hat der berühmte Regisseur George Lucas Weltraumszenen für Star Wars aufgenommen.» Das war der Augenblick, als an der Decke von Rustys Schädel eine Neonröhre anging.
    Doch nach diesem Donnerstagnachmittag in Compton war Sotomayor plötzlich nicht mehr zu erreichen. Telefonisch kein Durchkommen, meine E-Mails blieben unbeantwortet. Erst nachdem ich drei Faxe an seinen Hauptsitz in Dallas geschickt hatte, bekam ich eine Rückmeldung von irgendeiner Sekretärin, ein Wörterwust, aus dem hervorging, dass die Barracks nicht länger zum Verkauf stünden. Fuck you , Víctor. Ich nehme an, dass er von unserem Unternehmenszweck Wind bekommen hatte, wahrscheinlich sah er den Widerstand der Nachbarn voraus, die negative Presse, was weiß ich. Also schlug ich ihm in meinem nächsten Fax vor, den Kauf in aller Stille abzuwickeln. Der Mittelstand und das Proletariat in Compton seien danach unser Problem. «Alles ist käuflich», schrieb ich in dem Fax, «das muss ich einem Víctor Sotomayor nicht erklären, denke ich – und nicht alles muss in der Zeitung stehen.» Und wenn es doch in der Zeitung stand, dann hatte das auch seine Vorteile. Ich erinnerte ihn daran, dass es niemandem entgangen war, dass er und Villaraigosa seit dessen Wahl zum Bürgermeister von L. A. auffallend gute Freunde waren. Ein paar Jahre zuvor hatte der Immobilienkönig in der Los Angeles Times zähneknirschend zugeben müssen, dass er den Wahlkampf Villaraigosas – ein Latino wie er – bemerkenswert großzügig gesponsert hatte. Seitdem sprach bei allen öffentlichen Ausschreibungen der Anschein gegen ihn. «Lieber Víctor», schrieb ich, «vielleicht ist das Ihre Chance, einmal etwas zu tun, was dem Bürgermeister nicht gefällt. Denken Sie mal darüber nach. Wir bieten fünfzehn. Ich kann am nächsten Montag um vier in Dallas sein.»
    Ich bekam keine Antwort. Natürlich nicht. Der freimütige Ton, den ich anschlug, passte Sotomayor nicht. Er war ein die Treppe hinaufgefallener Kubaner mit verschwitzter Boxernase, nicht an Frauen als Verhandlungspartner gewöhnt. Um seinen korpulenten, tropfenförmigen Körper schlabberten pastellfarbene Anzüge, an denen er seine beringten Finger abwischte, bevor er mir seine lauwarme Hand gab.
    «Das ist also ein Ja», sagte ich zu Rusty. Am Montag der Woche zuvor hatte ich mich an Bord einer Chartermaschine begeben, die mich nach Texas flog. Um fünf vor vier trat ich in downtown Dallas im elften Stock des Stone Tower aus einem Fahrstuhl mit Fingerabdrücken auf den Spiegeln. Ohne Termin klopfte ich an die mattgläserne Tür von Sotomayors Büro.
     
    Früher als meine sich zuprostenden Kollegen verschwand ich im Treppenhaus, um mich wieder an die Arbeit zu machen; angeblich, um mit gutem Beispiel voranzugehen, in Wirklichkeit

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