Bonita Avenue (German Edition)
bus sitzen sah, der nach koekelberg fuhr. tja, ich habe stunden gebraucht, um es wieder nach hause zu schaffen, bis zu den hüften war ich voll matsch. das ist alles. ich hoffe, dass es dir weiterhin gutgeht, du hast einen netten mann und eine süße tochter, aber wie gottverdammt traurig es ist, dass sie ihren phantastischen opa
Ihren phantastischen Opa? Dunst hing über dem Valley, eine Mischung aus Nebel und Smog. Unten, auf dem breiten Gehsteig der Coldwater Canyon Ave, öffnete ein asiatischer Junge in einem Dodgers-Shirt vorsichtig das Tor des Zauns, der unseren Vorgarten von der Straße abtrennte, und stieg mit einer Zeitung, die er aus einer Umhängetasche zog, die Sandsteinstufen zum Haus herauf.
Ihren phantastischen Opa. Ich verließ mein Büro. Danny und Deke standen mit einem Glas in der Hand in der Tür zum recruiting , ich grüßte sie, ging geräuschlos zwei mit Teppich ausgelegte Treppen hinunter und fand in der kleinen Küche auf der ersten Etage ein Tablett mit benutzten Champagnergläsern. Ich nahm das sauberste und goss es aus einer der angebrochenen goldenen Flaschen, die oben auf dem Kühlschrank standen, voll. Schluckweise trinkend, ging ich zurück. Wieder an meinem Computer, öffnete ich Microsoft Office und schickte Sotomayor eine offizielle Antwortmail, in der ich durchschimmern ließ, dass ich nicht vorhatte, noch einmal nach Dallas zu fliegen. Er solle einen Notar in L. A. beauftragen.
Ich zog das Gummiband aus meinen Haaren, schüttelte sie und starrte über die Coldwater. Der Zeitungsjunge machte auf der anderen Seite der Straße ein Gartentor auf. Die unteren Enden seiner formlosen Hosenbeine klemmten unter den Sohlen seiner Sneakers.
Aaron war also immer noch total daneben. Ich öffnete seine Nachricht erneut, und während ich seine wahnsinnigen Ausführungen noch einmal las, machte sich in mir eine unangenehme Mischung aus Mitleid, Erleichterung und Abscheu breit. Die Erleichterung überwog vorerst, ich gelangte zu der Überzeugung, dass es sich um eine vollkommen gefahrlose E-Mail eines Menschen ohne Plan oder Absicht handelte. Er hatte sich hingesetzt und wirr drauflosgeschrieben, offenbar in einem Ruck. Ich hatte vergessen, dass er diese E-Mail-Adresse kannte; während meines Praktikums bei McKinsey hatte ich sie eingerichtet, um darüber den sparsamen Nachrichtenaustausch mit dem Dozenten abzuwickeln, der meine Diplomarbeit betreute. Das letzte Mal hatte ich Aaron Ende Dezember 2000 gesehen, und schon damals war er so psychotisch wie ein Kreisel. Das schien ein halbes Leben her zu sein, so etwas wie eine Wochenschau, es schmerzte mich aufrichtig, dass er immer noch …
Oder wieder , natürlich. Ich überflog den Brief ein drittes Mal, und mir wurde bewusst, dass sich nicht auf Anhieb erkennen ließ, wo die Grenze zwischen Wahrheit und Wahnsinn verlief, wenn überhaupt von Wahrheit die Rede sein konnte. Was ich zu verifizieren vermochte, war blanker Unsinn: Zunächst einmal war ich nicht verheiratet, ich war Mutter eines Sohnes und seit dreißig Jahren nicht mehr in Brüssel gewesen. Mein Herz hatte für einen Moment ausgesetzt, als er von dem Kind anfing. Juliette – wie kam er bloß darauf? Was verriet das über den Rest? Hatte er wirklich mit meiner Mutter gesprochen? Bestimmt nicht. Tineke schlank? Das schien mir der Beweis dafür zu sein, dass er die Falsche vor sich gehabt hatte, eine wildfremde Frau, in der er, aus welchem Grund auch immer, meine Mutter zu erkennen meinte, genau wie er der Meinung gewesen war, dass er mich gesehen hatte. Von Psychiatrie verstand ich nichts, doch das schienen mir handfeste Wahnvorstellungen zu sein.
Andererseits nutzte er einen belgischen Provider, aber das bedeutete höchstens, dass er tatsächlich in Brüssel wohnte, darüber gab er relativ genau Auskunft, auch wenn mir nicht klar war, was er dort zu suchen hatte. Eine boshafte Vorstellung drängte sich mir auf: Ich sah einen Bus mit Irren aus Enschede vor mir, die einen Tagesausflug nach Brüssel machten, unter ihnen Aaron, der den Pflegern entwischt und ein paar Stunden lang durch die Stadt gestreift war.
Ich setzte das leere Champagnerglas an meine Lippen und schaute an dem schlanken Kelch entlang auf die Wasserflecken an der Decke. Worauf ich ebenfalls keine Antwort wusste, war die Frage, warum er ausgerechnet jetzt Kontakt aufnahm, nach acht Jahren Funkstille. Es musste einen Grund dafür geben. Ob er wirklich nicht gewusst hatte, dass Siem tot war? Konnte ihm das
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