Bonita Avenue (German Edition)
Schnecke, das reicht vollkommen.»
Wieder dieses kristalline Lachen, das sich Joni für besondere Gelegenheiten vorbehielt, ein Lachen, das tief in ihrer Brust gebildet wurde und keinerlei Höflichkeiten transportierte; was er hörte, war bedingungslose Kapitulation. Nicht dass dieser Mann über außergewöhnliche komödiantische Fähigkeiten verfügte, seine schlappen Witze zogen nicht – es war Macht , die über Schleichwege auf Jonis Lachmuskeln einwirkte. Das weiße Smokingjackett, das Stol am Morgen in seinem Ankleidezimmer vom Kleiderbügel genommen hatte, spannte am Knopf vor lauter vollfetter Macht, mit der er satt gefressen war. Um Missverständnissen vorzubeugen, hatte er das weiße Jackett angezogen, als wäre er ein dominanter Affe, der einem seinen Arsch unumwunden aufs Gesicht drückt. Der Typ von Herrscher – hatte Aaron in den Karrierebroschüren gelesen, die er, ritsch, ratsch, in den Papierkorb pfefferte –, der Untergebene an seinen Füßen schnüffeln lässt, weil er selbst findet, dass sie nach Himbeerkuchen duften. Er setzte die Kontaktlinse wieder ein. Wenn Joni merkte, dass er schon jetzt in den Seilen hing, dann wurde dieses Abendessen sein Waterloo. Sie durfte nicht wissen, dass er sich vor diesem Mann fürchtete.
Aber wie sehr war das sein verdienter Lohn. Hier saß er nun mit seinen giftigen Bemerkungen über diese Art von Männern. Consultants seien Scharlatane, Hohlköpfe, Profiteure, hatte er immer behauptet, wenn Joni laut über eine Zukunft in der Beratungsbranche nachdachte, eine Zukunft, für die sie als Studentin der Technischen Betriebswirtschaftslehre immerhin ausgebildet wurde, für die sie sich im Grunde längst entschieden hatte, eine Zukunft, die sie im Sturm erobern wollte. Anstatt sie dabei zu unterstützen, runzelte er, wenn sie etwas Positives über ein Unternehmen wie McKinsey sagte, die Stirn, bis ihm Hörner wuchsen, und sog aus seinem Widerwillen so viel verächtliches Geschwafel wie nur möglich: Die «Beratungsbranche» sei ein dekadenter Auswuchs, sagte er etwa, sei «verrottet», um mal Klartext zu sprechen, ein Luxusphänomen, das augenblicklich verschwinden werde, sobald die Börsen kollabierten oder etwas anderes passiere. Und wenn Joni sich aus der Reserve locken ließ und gegen seine Klischees aufbegehrte, ereiferte er sich über untalentierte Grünschnäbel, die eine Berufsausbildung für unter ihrer Würde hielten und sich stattdessen wie eine Blattlaus eine akademische Ausbildung einverleibten. Von keinerlei Ambition behindert, studierten sie Jura, Betriebswirtschaft, Kommunikation oder irgendein anderes Styroporfach, um anschließend mit zweiundzwanzig Jahren und null Ahnung als Berater hausieren zu gehen.
Um seine konstruktive Kritik zu untermauern, zog er seelenruhig seine eigenen Freunde durch den Dreck. Etienne zum Beispiel führte er gern als Archetypus dieser Studentensorte an: studierte früher einmal Biologie, hatte aber «alles, was wächst, blüht und gedeiht», rücksichtslos an die Seite geschoben, als sich herausstellte, dass diese hübsche Dreifachwendung nicht auf sein Biologengehalt zutraf. Und jetzt? Jetzt schrieb Etienne Kauderwelsch-Gutachten, aus denen auf Bestellung hervorging, dass Entlassungen unvermeidlich waren oder es zum Fusionieren keine Alternative gab oder welches Wirtschaftsverbrechen auch immer, das Ganze zusammengefasst auf einem korrumpierten Powerpoint-Sheet, mit dem dann ein Vorstandsvorsitzender scheißvornehm in die Werkshallen marschierte: Liebe Leute, leider muss ich euch entlassen, lest nur, hier steht es. Wollte Joni ihr Talent daran verschwenden? Ein Diplom in Mitarbeitertäuschung – studierte sie dafür? «Aaron», sagte sie dann seufzend, «ich werde Betriebswirt», und mit diesem tiefen Seufzer versuchte sie, sich auf andere Gedanken zu bringen, denn es war destruktives Geschwätz, das er da präsentierte, und beide wussten das.
In einem Zug trank er sein Glas Corton-Pougets leer und starrte auf die gipsernen Weinranken an der Decke. Was tun? Das Gespräch musste wie auch immer auf ein anderes Thema als McKinsey gelenkt werden. Auf eine Frage von Joni, die er erneut verpasst hatte, antwortete Stol, seine Consultants seien die Bergarbeiter der heutigen Zeit, jedes Unternehmen habe einen Wert, wenn man nur tief genug grabe. Es entwickelte sich ein Gespräch über die schnellste, effektivste Art des Grabens. Zum ersten Mal betrachtete Aaron die Frau neben Stol genauer. Sie war um einiges jünger als ihr
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