Bonita Avenue (German Edition)
wenn ich abends nach Hause kam», schnappte er auf, «hatte sie wieder etwas gekauft, das einen Stecker hatte.» Neben dem Mann saß eine viel jüngere Frau mit hochgesteckten braunen Haaren, die etwas erwiderte, was er nicht verstand. «Kurzum, es musste etwas geschehen», fuhr der Mann exklusiv für Joni fort, «am Ende steckte sie zweimal am Tag den Gartenzwerg in die Wanne.» Aaron rückte hüstelnd seinen Stuhl an den Tisch. Es dauerte den Bruchteil einer Sekunde zu lange, bevor der Mann ihn bemerkte; er unterbrach sich selbst, als mischte Aaron sich in etwas ein.
«Boudewijn Stol», sagte er, und eine gebräunte Hand schoss über den Tisch, in die Aaron einschlug, ein fester, trockener Händedruck. Er betrachtete Stols auffallend kleine Locken, die mit etwas Fettigem, Brillantine oder so, nach hinten gekämmt waren. Nach ungefähr vier Zentimetern ging die ergrauende Frisur in Wellen über, distinguiert, klassisch, sodass seine hohe Stirn frei blieb. Der Mann saß in seinem weißen Smokingjackett kerzengerade, schob sein stumpfes karthagisches Kinn weit nach vorn: Alle schwarzen Jacketts im Saal fielen augenblicklich aus dem Rahmen. Noch bevor Aaron wusste, wer dieser Boudewijn Stol war, konnte er ihn nicht ausstehen.
«Ich bin ein Kollege von Etienne», sagte Stol zu Joni, offenbar die Antwort auf eine soeben gestellte Frage, «sein Chef eigentlich. Bei McKinsey Holland.»
Aarons Atem stockte, als er ihn das sagen hörte, Joni änderte ihre Sitzposition, ihre Absätze kratzten über das Parkett. Er schaute sich flüchtig um und bemerkte, dass er alles in diesem Feenreich verschärft wahrnahm: die mehr als fünfzig Gedecke, das Geklapper der zahllosen Messer und Gabeln, die funkelnden Schüsseln, die schimmernden Kleider und Juwelen, das Plappern Dutzender Münder, die sich bewegenden Augenbrauen, Jochbeine, Korsagen – alles zugleich. «Sein team leader ?», hörte er Joni fragen. Spiel dich nicht so auf, dachte er und schaute auf seinen Teller. Neben ihm saß ein bärtiger Mann ohne Schnurrbart, dessen gärender Körpergeruch ihm zusetzte und dessen Barthaare wie eine Spülbürste über den Kragen seines Smokinghemdes kratzten.
«Aha», sagte Stol, «die junge Dame versteht was davon. Nein, nicht sein team leader . Ich bin managing partner in Amsterdam. Oder, wenn man so will, Niederlassungsleiter.»
« Big chief », schlug Joni vor. « Big chief von McKinsey Holland.»
«Nicht an die große Glocke hängen», sagte Stol.
Anders als noch vor einer Stunde, als sie im Fernsehen das brennende Enschede gesehen hatten und absolut nichts in ihm vorgegangen war, ging nun alles Mögliche in ihm vor: Schlechtes. Literweise Blut wurde mit Elefantenkraft in seinen Kopf gepumpt, sein Rücken, seine Hände, seine Pobacken, sein Gesicht, seine Füße flammten auf wie Streichhölzer. Hitze strahlte von ihm ab, die Ölgemälde in ihren goldenen Rahmen, mürrische Pudergesichter über Spitzenkragen, begannen zu schwitzen. Big Chief McKinsey, dachte er, mein Gott, und als drehte jemand an einem Objektiv, verschwamm der ganze Sissisaal zu einem nebulösen Fleck. Er fokussierte seinen Blick auf Stols kräftigen Hals, in dem ein Muskel zuckte, der Mann hatte einen Hals wie eine Eiche, ein jahrhundertealter Stumpf, der in runden mächtigen Schultern unter dem Stoff des Smokingjacketts wurzelte. Im Keller seines Firmensitzes gab es bestimmt einen Fitnessraum, in dem er jeden Tag eine halbe Stunde lang Gewichte stemmte, er war einer dieser Typen, die sechzig Kilo stießen, das Gerät aber, bevor sie zum nächsten gingen, auf einhundertzwanzig Kilo stellten, um dem nächsten Idioten einen moralischen Schlag zu verpassen. Aaron rieb sich mit beiden Händen die Augen. «Mit meinen Kontaktlinsen stimmt was nicht», murmelte er. Unter seiner trockenen Zunge steckte ein tauartiges Stück Kalbfleisch, in dem all sein Speichel verschwunden war. Er holte eine der Linsen aus dem Auge und inspizierte das Kunststoffding, als hätte er es noch nie zuvor gesehen.
«Wie viele Consultants haben Sie denn unter sich?», hörte er Joni fragen.
« Sie haben gar nichts», sagte Stol, « du in etwa einhundertfünfzig Mitarbeiter.»
Sie lachte ein Lachen, in dem aufgeregte Bewunderung mitschwang.
«Aber», sprach die von sich selbst eingenommene Stimme weiter, «wie du bestimmt weißt, sind Consultants selbständige Menschen. Den kleinen Vaessen hier kann man zum Beispiel wunderbar draußen spielen lassen. Einmal pro Woche mach ich ihn zur
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