Bonita Avenue (German Edition)
verkaufen.
«Ich weiß nicht, wie es um Sie so stand, als Sie sechsundzwanzig waren», sagte er zu Haitink, «aber ich fand es nicht schlimm, genauso viel zu verdienen wie Dennis Bergkamp.»
«Das ist doch ein Fußballspieler? Ich hasse Fußball.»
«Mit einer Fotosession pro Woche, die uns nur einen Abend kostete, verdienten wir dasselbe wie ein Spitzenfußballspieler. Auf dem Höhepunkt im Jahr 1998 hatten wir elftausend subscribers …»
«Subscribers?»
«Zahlende Abonnenten. Männer, die begeistert genug waren, zwanzig Dollar pro Monat zu überweisen. Elftausend. Rechnen Sie sich das mal aus!»
Haitink schlug ein schlankes Bein über das andere und bediente sich eines imaginären Abakus an der Wand hinter ihm. «Ja», sagte sie nach ein paar Sekunden, zu schnell, um es wirklich ausgerechnet haben zu können, «das scheint mir wirklich eine ganze Menge Geld zu sein. Unglaublich. Es ging Ihnen also ums Geldverdienen?»
«Ja. Na ja, auch. Es war vor allem …»
«Warten Sie einen Moment», unterbrach sie ihn. Sie lehnte sich zu ihrem Schreibtisch hinüber und ergriff mit gestrecktem Arm einen großen Taschenrechner. Nachdem sie kurz darauf herumgetippt hatte, schaute sie auf, mädchenhaft erregt. «Mit elftausend Abonnenten, die jeden Monat zwanzig Dollar bezahlen», sagte sie, «und das ein Jahr lang, komme ich auf … 2,6 Millionen Dollar, das sind beinahe … nein, das sind gut fünf Millionen … – Aaron, Sie halten mich zum Narren!»
«Nein. Wirklich nicht. Sigerius, den hielt ich zum Narren.»
«Aber das ist … Ich meine …»
«Es war tatsächlich wahnsinnig und gigantisch und enorm, das versuche ich Ihnen doch die ganze Zeit zu erklären. Selbst das Bewahren eines solchen Geheimnisses ist phantastisch … Man wurde regelrecht abhängig davon. Keiner wusste etwas, während gleichzeitig elftausend Männer alles wussten … Es war der Knaller schlechthin. Eine Quelle permanenter, konspirativer … ähm …»
Sie sah ihn nachdenklich an. «Erregung?»
«Geilheit, genau. Das Wort habe ich gesucht.»
Er rief das Thai-Restaurant am Ortsausgang an, bestellte grünes Curry mit Reis und duschte in der halben Stunde, bevor der Bote den Weg zu seinem Haus hinauffuhr.
Es war überirdisch geil. Klar. Allwöchentlich hoben sie auf seinem Dachboden, oder wo auch immer sie die Fotos machten – auf der Barbara Ann, in einem Fünf-Sterne-Hotel, in einer Bed-and-Breakfast-Pension in Zeeland oder Ost-Groningen mit Museumsflyern neben dem Wasserkocher –, buchstäblich ab. Jedes Mal lief es gut. Jahrelang war ihre Woche ein Zyklus der Geilheit gewesen, der mit prickelnden Vorbereitungen begann, eine Location suchen, in mehr oder auch weniger exklusiven Läden neue Dessous für Joni einkaufen, bevor dann, meist am Dienstag- oder Mittwochabend, eine orgiastische Fotosession stattfand. Sie brauchten Stunden, um die einhundert bis einhundertfünfzig Fotos zu machen, die sie ihren Kunden schuldig waren, und in den Tagen danach schloss sich eine erschöpfte, zufriedene Nachbesprechung an, die darin bestand, dass sie sich ansahen, was gleichzeitig auch auf elftausend anderen Rechnern angesehen wurde, anno 1998 ein magisches Gefühl, und wenn sie dann von der Selbstbeschau genug hatten, beschauten sie das Saldo auf ihrem Firmenkonto, hoben eintausend Gulden ab und fuhren nach Paris oder nach Berlin oder nach Ameland und machten dort die nächste Session. Die Quelle der Erregung schien nicht zu versiegen. Manchmal meinte er, in einem Traum zu leben, und er kam sich vor wie der Rektor seines eigenen Schlaraffencampus – bis der Rausch verflog. Sobald die Erregung abebbte, lag da der echte Campus, ein Campus aus Wiesen, auf denen ein verdammt echter umgebauter Bauernhof stand, und in diesem umgebauten Bauernhof wohnte ein Rector magnificus aus Fleisch und Blut, der Vater seiner Freundin, mit dem er zweimal pro Woche im Sportzentrum gemeinsam duschen ging.
Er drehte die Hähne zu. Ja, dachte er, das Ganze hatte auch eine unbesonnene Seite, etwas Masochistisches. Das ständige Hochschrauben des Risikos durch die immer größere Nähe zu Sigerius. Als wollte er unbedingt erwischt werden.
Er bezahlte sein Essen und aß es in seinem Arbeitszimmer. Als der Teller leer war, setzte er sich an seinen iMac und las erneut Jonis E-Mail. Ihm fiel auf, dass er an einer Bemerkung hängenblieb, die ihn natürlich schon beim ersten Lesen gestört hatte, über die sich zu ärgern jedoch bisher keine Zeit gewesen
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