gefragt habe, was mit seinen Ohren passiert sei? Nein, sagte er lächelnd und verschwieg, dass er sich auch an die dreizehnjährige Isabelle kaum erinnern konnte. Sie erzählte ihm, dass ihre Mutter ihm noch immer Dankbarkeit entgegenbringe, auch wenn das Ganze damals ein wenig seltsam verlaufen sei. Sie erzählte ihm, dass sie Verwaltungswissenschaft studiere, in einem «einigermaßen akzeptablen» Campuswohnheim lebe und Mitglied derselben Studentenverbindung sei wie Joni, die auch das Aufnahmeritual an ihr vollzogen habe. Nicht ein einziges Mal schaute sie weg. Als er eine halbe Stunde später die Bastille verließ und, am Sportzentrum und an dem kleinen Supermarkt vorbei, zum Langekampweg ging, fühlte er sich auf eigentümliche Weise … leicht.
Zwei Tage später leitete ihm seine Sekretärin die E-Mail einer gewissen Isabelle Orthel weiter. Isabelle Orthel? Erst als er die Nachricht las – «Hi, Siem, ist dir der Wein auch schlecht bekommen? Ein übles Gesöff. Im Appel in Hengelo gibt es sehr guten Roten» –, ging ihm auf, dass Star Busman der Mädchenname ihrer Mutter war. Aber auch Isabelle Orthel war kein Name für eine Thailänderin, eher der einer französischen lyrischen Philosophin aus dem siebzehnten Jahrhundert. Sollte er ihr antworten? Es war ein arbeitsreicher Mittwoch, und den restlichen Vormittag über sowie am Nachmittag ließ er vor lauter Neugier seinen Zweifel köcheln. Eigentlich hatte er sich entschlossen, es dabei zu belassen, bis er auf einmal, kurz bevor er nach Hause ging, eine Antwort schrieb. «Keine Probleme gehabt. Mail mir in Zukunft lieber unter
[email protected]. Mach’s gut, Isabelle.»
Erst als er am nächsten Morgen um halb acht durch den eiskalten Verwaltungstrakt lief, dachte er wieder an sie, und anstatt gleich Kaffee zu machen, las er zuerst seine privaten E-Mails. Sie hatte ihm zwei Nachrichten geschickt. Die erste war eine längere Auslassung darüber, wie «inspirierend» sie es gefunden hatte, sich mit ihm zu unterhalten, und dass sie in der Nachwuchsorganisation der sozialliberalen D66 aktiv war und sein Name dort regelmäßig fiel. Das alarmierte ihn. Früher, als er noch nicht verheiratet gewesen war, fand er es schwierig zu erkennen, wenn Frauen flirteten, inzwischen gelang ihm das recht gut, doch heute konnte er zwischen aufrichtigem Interesse, erotischen Beweggründen und dem, was man, freundlich umschrieben, als «networken» bezeichnen könnte, nicht unterscheiden.
Die zweite Nachricht war kurz und klar. «Magst du überhaupt Rotwein?»
Er war verzweifelt. Schon seit fünfundzwanzig Jahren reagierte er auf Avancen immer gleich, nämlich gar nicht, allerdings merkte er, dass das ganze Wochenende über seine Gedanken wie durch einen Trichter auf die junge Frau zuströmten. Abends, neben der schlafenden Tineke, malte er sich aus, wie sie im Appel einander gegenübersaßen, versuchte, sich im Liegen Teile ihres Körpers vorzustellen. Am Montagmorgen, in einem unbeobachteten Moment im Verwaltungstrakt, tippte er in seinen Computer: «Isabelle, ich sehne mich nach einem Glas guten Wein.»
An den darauffolgenden Tagen mailten sie immer intensiver, schließlich dreißigmal am Tag. Immer diese schmeichelnde Wissbegier, sie begrub ihn förmlich unter heiteren, forschen, grenzenlos interessierten Ergüssen mit Sätzen und Fragen über seine Arbeit, über seine Töchter, seine Meinung zu diesem und jenem, über Filme, die er gesehen oder nicht gesehen hatte, über Bücher, über seine Vergangenheit, über seine Jugend – tagelang, bis er es nicht mehr aushielt und zu drängeln begann. Ja, er war es, der offensichtlich mit dem Gefieber anfing. Dieser immer lockerer werdende Ton. Nach zwei Wochen waren sogar seine Punkte und Kommas doppeldeutig. Wenn sie berichtete, dass sie schwimmen war, dann bat er sie, ihren Badeanzug zu beschreiben, als sie ihren Badeanzug beschrieben hatte, wollte er wissen, was für Unterwäsche sie trug, zum Beispiel jetzt.
«Keine Unterwäsche», antwortete sie.
«Keine?!»
«Mein Gott, natürlich habe ich Unterwäsche an.»
«Isabelle, was für Unterwäsche?»
«Was für Unterwäsche würdest du denn gerne an mir sehen?»
Seine Triebhaftigkeit überraschte ihn. Eigentlich war er nicht der Typ, der seine Arbeit vernachlässigte, um erotischen Abenteuern hinterherzujagen, und erst recht war er keiner, der einem neunzehnjährigen Backfisch erlaubte, sein vollkommen ausbalanciertes Privatleben zu untergraben. Nicht, dass er in