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Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Buwalda
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seinem Leben nie ein Risiko eingegangen wäre; er selbst fand, er gehe ständig Risiken ein, doch das waren Gefahren, die bei helllichtem Tag auf ihn zukamen, Gefahren, die nichts mit ehebrecherischen Neigungen zu tun hatten. Er war ein Mann ohne erotische Geheimnisse. Vielleicht sogar ohne erotische Wünsche.
    Und dennoch – in der nervösen Hoffnung, einen raschen Blick auf Isabelle Orthel werfen zu können, suchte er in den ersten Wochen wie ein Neurotiker den Campus ab. Er blätterte das Jahrbuch ihrer Studentenverbindung durch, das in seinem Büro im Regal stand, weil er ein kurzes Vorwort dafür geschrieben hatte, und fand zwei Fotos – mein Gott, das war sie, ja. Trotzdem fuhr ihm regelrecht der Schreck in die Glieder, als er sie kurz darauf bei der Eröffnung einer neuen Hockeycafeteria vorn im Publikum entdeckte. War sie tatsächlich so schön? Ihr blasses Gesicht sah aus, als würde es wie eine monumentale Stadtvilla angestrahlt. Er hatte vergessen, wie nonchalant sie ihr glattes Haar hochsteckte, hatte vergessen, dass sie beim Zuhören die Daumen hinter den Bund ihrer Jeans klemmte und dabei vor lauter Aufmerksamkeit ihren glitzernden Mund spitzte, weil sie darauf brannte, endlich Kontra geben zu können.
    Zum Glück kam sie erst nach einer Stunde auf ihn zu, offenbar die Zeit, die sogar sie brauchte, um Mut zu sammeln. Es war ungeheuer nett. Erst hinterher machte er sich Sorgen darüber, welchen Anblick sie dort geboten hatten, das Arbeitstier und das Hockeymädchen: ausladende Gesten, ungezwungene Berührungen an Schultern und Unterarmen, Ins-Ohr-Geflüster, schallendes Gelächter – einmal patschte sie ihm sogar ins Gesicht, sagte lachend «du Lump» im Zusammenhang von etwas, an das er sich nicht mehr erinnern konnte.
    Zu seinen schlechten Vorhaben für das Jahr 1999 gehörte auch eine Verabredung in einem Bistro in Almelo, der nächstgelegenen und dennoch weit genug entfernten Stadt, dass er es wagen konnte, sie in der Öffentlichkeit zu treffen. Seit 1974 hatte er seine Hand nicht mehr auf eine andere Hand als Tinekes gelegt, und den ganzen Abend lang fühlte er sich, als wäre er zum Himmel aufgefahren. Sie redeten über seine farblose Jugend in Delft, über Isabelles große Zukunftspläne, über den Unterschied zwischen Jazz und klassischer Musik (eine Zeitlang hatte sie mit dem Gedanken gespielt, am Konservatorium Gesang zu studieren), über Krawatten und die Vorteile, die es hat, eine Frau zu sein, über ihre sonderbare Abneigung gegen Thailand, über Treue und Untreue, und er wusste: Ich bin verliebt. Als sie durch das dunkle Almelo zum Bahnhof zurückgingen (er fuhr vorsichtshalber in der ersten Klasse – «aus Feigheit», ihrer Meinung nach), drängte sie ihn in eine Gasse zwischen zwei Geschäften und fing an, ihn zu küssen. Er ließ seine eiskalten Hände auf ihren Schultern ruhen und spürte, wie die ihren den Körper unter seiner Kleidung abtasteten, auf seinem Hintern anlangten und nach ein paar Minuten, zu seinem Schrecken, den Hosenknopf öffneten. Sie zog ihre hirschledernen Handschuhe aus, doch er schob ihre Finger weg. Mit einer überrumpelnden Hab-dich-nicht-so-Bewegung entblößte sie sein Glied und bearbeitete es. Er war einen Kopf größer, sodass er ihrem kupferfarbenen Fuchsblick ausweichen und sich diskret unwohl fühlen konnte.
    Die Rückfahrt durch die Abendlandschaft stimmte ihn milde und besinnlich. Aus seinem ansonsten leeren Erste-Klasse-Abteil, sein erschrockener halbsteifer Penis an der Innenseite seines Oberschenkels, betrachtete er den fast vollen Mond in dem Wissen, dass woanders in diesem Zug ein unerschrockenes, sanftes, unglaublich attraktives Mädchen dieselbe Speiseeiskugel anschaute und dabei an ihn dachte. Ihre Traute verblüffte ihn, ihre Lebendigkeit, ihre Kraft. Keine Spur von Scheu, die ihm sonst immer entgegengebracht wurde, etwa weil er fünfunddreißig Jahre älter oder der Rektor der Universität war, an der sie erst noch ihr Vordiplom machen musste. Isabelle Orthel strotzte vor Selbstvertrauen und Mut. Weil sie noch so jung war, verglich er sie unwillkürlich mit Margriet Wijn, dem einzigen anderen neunzehnjährigen Mädchen, das ihn jemals in eine Gasse gedrängt hatte. Die Unterschiede zwischen den beiden waren so groß, dass er manchmal meinte, in den Kontrast verliebt zu sein.
    Er war oft genug bei Marij Star Busman ein und aus gegangen, um zu wissen, dass Isabelle sich unter der Last einer herausragenden Familie behaupten musste, in die sie

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