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Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Buwalda
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sagte ich.
    «Joni», sagte Scott, «Siem ist dein Stiefvater.» Vielleicht weil alle gespannt hersahen und schwiegen, fügte er hinzu: «Warum lügst du die ganze Zeit?» Ich riss meine Augen so weit wie möglich auf, woraufhin sie sich langsam mit Tränen füllten. «Er ist sehr wohl mein richtiger Vater», stotterte ich. Die anderen Kinder schauten mich an, und ich konnte an ihren Gesichtern ablesen, dass sie Scotts Meinung teilten.
    «Gar nicht wahr», sagte er.
    «Wohl wahr!» Sie begannen zu fließen, langsame, schwere Tränen. Meine Stimme klang seltsam, wie vom Band.
    Betty ruckte mit ihrem Kopf wie ein Vogel und fragte: «Und dein Vater? Immer noch Professor, Joni? Welch ein brillanter Kopf, nicht wahr, Schatz. Ein außergewöhnlicher Mann. Ein Genie – der Meinung waren Mal und ich immer wieder. Scotty, der erzählte eines Tages, dass dein Vater nicht lange danach den …», sie zögerte kurz, als schämte sie sich wegen irgendwas, «den Nobelpreis bekommen hat. Das erfuhren wir erst Jahre nach eurem Weggang. Den … Nobelpreis für Mathematik, stimmt’s?»
    «So etwas Ähnliches. Das stimmt.»
    «Wie geht es deinem Vater, Schatz?»
    Der hat sich aufgehängt . Der brillante Kopf ist tot. Hat einen Abgang gemacht. Nicht weil er böse war, sondern enttäuscht.
    «Gut. Er ist emeritiert … in Professorenrente. Er lebt mit meiner Mutter in der Dordogne.»
    «Italien … wie herrlich.»
    «Sie betreiben eine kleine Pension. Siem nimmt jetzt Saxophonstunden.»
    «Mein Gott, ja …», sagte Betty, zufrieden schnurrend, «dein Vater hörte immer Jazz, das weiß ich noch. Nervige Musik. Fand Malcolm.»
    Ein sadistischer Zug zeigte sich auf Scottys errötendem Gesicht. «Siem ist dein Stiefvater», sagte er. «Deine Mutter hat es meiner Mutter erzählt.»
    Es müssen Tränen der Wut gewesen sein, in meine Muskeln strömte Racheblut, denn ich sprang auf das Tischchen, mit den Knien. Ich kroch über den Tisch zu diesem Scheißkerl hin, quer durch die Marzipantorte, wobei ich Limonadengläser umstieß, und stürzte mich dann mit aller Kraft auf ihn. Meine Schlagsahneknie auf seinen fetten Schultern. Scotty fiel hintenüber, ich hockte auf ihm drauf, schlug und kratzte ihn, und ich schrie, halb auf Niederländisch, halb auf Englisch: «Er ist doch mein Vater. Das nimmst du zurück, Schweinehund! Er ist sehr wohl mein Vater. Du bist eifersüchtig! Du willst auch so einen Vater haben. Hättest du doch so einen Vater.»
    Zehn Sekunden, länger dauerte es nicht, bis Scotts Mutter, diese Frau hier, diese schreckhafte Betty, knallhart eingriff. Sie zog mich an meinem Ohr von ihrem Sohn herunter.
    «Bist du, verdammt noch mal, völlig durchgedreht?», kreischte sie, «freches Gör!», und vor den Augen der Kinder zerrte sie mich mit einer einzigen Bewegung in die Küche, schob den Riegel der Außentür zur Seite und stieß mich die Treppe hinunter, auf den Rasen.
    «Raus aus meinem Garten», sagte sie, «und zwar schnell. Erzähl deinen Eltern, was du getan hast, kleine Hexe.»

8
    Nachdem Tineke hinter ihrer älteren Tochter hergelaufen war, zum Wintergarten hinaus in Richtung der Schlafzimmer, und er mit Janis die kalt gewordenen Kartoffelkroketten aufgesammelt und Sigerius, beredt schweigend, mit Handfeger und Kehrblech die Porzellanscherben zusammengekehrt, die Spülmaschine eingeräumt und die zahlreichen Vorhänge zugezogen hatte, nachdem die einzigen menschlichen Geräusche, die sie machten, ihre Schritte gewesen waren, das Hochziehen ihrer Nasen, das verschämte Gehüstel, wenn sie einander begegneten, und sich der Wintergarten wieder in den Wintergarten verwandelt und Sigerius mit einem Whisky in der Hand und Kopfhörern auf den Ohren in einem Lehnstuhl Platz genommen hatte, nachdem er selbst perplex und auf einmal todmüde nach oben geschlurft war und sich im Gästezimmer entkleidet und im kleinen Badezimmer vorn im Gang seine Temazepams geschluckt und sich endlich in dem schmalen, hölzernen Doppelbett neben die zusammengerollte Joni gelegt hatte, da begann die lange Nacht des 20. Mai 2000.
    «Erklär mir mal, was vorhin am Tisch passiert ist», sagte er nach einer Viertelstunde, während der er behutsam ihre Schultern und Hüften gestreichelt hatte.
    Sie schlief oder tat, als schliefe sie. Er drehte sich auf den Rücken, das Fenster war ein Aquarium, in dem Maisterne schwammen. Nach ein paar Minuten stand er auf, stolperte über die Kleider, die sie in ihrer Wut auf den Boden geworfen hatte, und öffnete

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