Bonita Avenue (German Edition)
Schiffsrumpf. Das scharfe Eisen schnitt in meine Handflächen. Sehr bald schon entglitt Scott ein Drahtseil, und die rostige Außenseite schabte im Fallen die Haut von seinem linken Knie. «Aaaaah», schrie er und fing an zu weinen, schuldbewusst, ängstlich, ein roter Apfel, aus dem Saft quoll. «Wer ist hier ein Mädchen?», fragte Scotts Vater. «Na?»
«Malcolm», sagte die Frau. Ihre unruhigen graublauen Augen kamen plötzlich zur Ruhe, jedenfalls bewegten sie sich nicht. Sie sah mich an. «Mal ist inzwischen seit sechs Jahren tot. Seit 1996 bin ich allein. Neunundvierzig ist er geworden.»
«Das tut mir leid …»
«Sein Herz. Nie Gemüse essen, wohl aber Mayonnaise. Er kratzte sogar das Tomatenmark von seiner Pizza. Aber was rede ich?»
Wir starrten beide auf die glänzende Platte des Couchtischs, als müssten wir diesen bündigen Nachruf überdenken. Wie unglaublich niedrig und klein dieser Tisch doch war. Unvorstellbar, dass wir an jenem Nachmittag zu siebt oder acht darum herum gesessen hatten. Und doch reichte der Platz, auch für Kuchenteller und Limonadengläser und in der Mitte, wo jetzt eine kupferne Obstschale mit angestoßenen Äpfeln und gesprenkelten Bananen stand, die erst zur Hälfte aufgegessene Geburtstagstorte. Scottys Geburtstagsfeier. Wir saßen auf den Knien. Sieben oder acht braungebrannte Freunde und Freundinnen, die Hälfte kannte ich nicht, weil Scotty eine evangelische Schule besuchte, etwas außerhalb von Berkeley. Und auf zwei dieser Bordellsessel saßen sein Vater und seine Mutter. Malcolm und … Betty . So hieß diese Frau. Ich wusste genau, dass auch Betty an diesen Nachmittag dachte.
«Aber Scotty und Jennifer sind mir eine große Stütze, die beiden sind so liebe Kinder.» Sie versuchte zu lachen, doch ihr mit Lippenstift gefärbter Mund spielte alle Ausdrucksformen durch.
«Als was arbeitet Scotty?»
«Warte.» Sie stand auf, strich den Rock glatt und schleifte ihren Stop & Shop-Fuß zu einer Anrichte im Vorraum. «Scott repariert und installiert Haushaltsgeräte», rief sie schrill. Ich hörte einen Zerstäuber. Den Verschluss eines Flakons. «Trockner, Spülmaschinen. Alles. Der Junge ist so geschickt mit seinen Händen.»
«Verheiratet?»
«Scotty? Nein. Nein, Scotty nicht. Aber Jennifer. Sie hat zwei Kinder. Zwei Söhne.»
Betty, die jetzt einen durchdringenden Parfümgeruch verbreitete, drückte mir einen ovalen Bilderrahmen in die Hand. Vor einer karamellbraunen Fotostudio-Leinwand waren zwei Erwachsene zu sehen, eine sitzende Frau und, schräg dahinter, mit einer schlanken, langen Hand auf ihrer Schulter, ein Mann. Jenny und Scott. Der große magere Mann, zu dem Scott geworden war – seine apfelartige Rundheit von früher war nur eine Laune seines Stoffwechsels gewesen, die Malcolm-Gene hatten den Kürzeren gezogen –, erregte derart meine Aufmerksamkeit, dass Jennifer ein blasser Fleck blieb, eine Frau, die so gewöhnlich war, dass Stäbchen und Zapfen nicht auf sie reagierten. Scott trug eine lederne Weste, und in jedes seiner großen Ohren war ein schwarzer Metallring gestanzt. An diesen Ösen ließen sich Scotts Ohren in die Garderobe hängen, wenn seine Mutter sie ihm abgequatscht hatte. Das gutbürgerliche Fotostudio und die klassische Pose, die ihre Kinder eingenommen hatten, verhinderten nicht, dass ich auf den ersten Blick bemerkte, dass Scott schwul war. Ich legte den Bilderrahmen auf den Couchtisch, neben das Glas mit der früh verstorbenen Cola.
«Hübsch», sagte ich.
Zu Beginn der Geburtstagsparty waren alle schüchtern gewesen, jedenfalls in meiner Erinnerung. Das Haus war so ordentlich und sauber, dass man ganz schweigsam wurde. Wie Scott, das Geburtstagskind, darauf kam, war unklar, aber noch ehe wir alle ein Stück Marzipantorte auf unserem Teller hatten, sagte er es. Wir saßen einander gegenüber an diesem augenförmigen Tisch, er an der einen Spitze, ich an der anderen. Es fiel ihm nicht plötzlich ein, er sagte es einfach, ohne jeden Anlass: «Joni, Siem ist nicht dein richtiger Vater.» Auf seinem feisten Gesicht lag ein triumphierender Ausdruck, etwas Vorwurfsvolles.
«Es sind wunderbare Kinder», sagte Scotts Mutter. Sie setzte sich hin, stand aber sofort wieder auf, als stünde ihr Sessel unter Strom. Sie nahm den Bilderrahmen vom Tisch und brachte ihn wieder in den Vorraum. «Sag, Schatz, wie geht es deinen Eltern? Deiner Mutter hat es hier so gut gefallen. Ich fand es schrecklich, als ihr weggezogen seid.»
«Wir auch»,
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