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Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Buwalda
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und alles. Möchtest du was trinken, Schatz? Was möchtest du trinken. Sag ruhig.»
    Sie war schon immer nervös gewesen, ja. Ein Nervenbündel von einer Frau, die zu jedem, der sie nicht beraubte oder ermordete, «Schatz» sagte. Ihr längliches Gesicht regte sich wie ein Ameisenhaufen, in dem ich mit einem Zweig herumgestochert hatte. Ihr Haar war dünner geworden und an der Kopfhaut grau, aber sie färbte es – was war das für eine Farbe? Lilarot.
    Sie verschwand in die Küche. Das Wohnzimmer hatte sich ebenso wenig verändert wie sie, die geblümte Couch stand da immer noch, drum herum die verschnörkelten Sessel von damals, grünlicher Samt, Nappaleder mit Messingbeschlägen. Inmitten der durchgesessenen Sitzgruppe das niedrige Mahagonitischchen, auf das sie, als sie wieder ins Zimmer kam, mit zitternder Hand ein Glas Cola light stellte.
    Ich stürze die Cola runter, und weg bin ich.
    «Mein Gott, Joni, erzähl, wie geht es dir? Aber sag mir zuerst: Was führt dich her? Du hast doch einen Moment Zeit? Vielleicht musst du ja schon los …»
    Letzteres musste ihr innigster Wunsch sein: mich gleich wieder verschwinden zu sehen. Wie hieß sie noch gleich? Sie nahm mir gegenüber in einem rotzgrünen Sessel Platz und schob ihren eingepackten Fuß knisternd unter den Couchtisch. Ihr Blick sprang von meinen Händen zu meinen Flipflops, zu meinen Knien, zum Erkerfenster, zu meiner Nase.
    «Wir sind in Ferien», log ich.
    «Ach, wie herrlich. Na, da habt ihr ja Glück mit dem Wetter. Hier ist es immer höllisch heiß. Schatz. Wie herrlich . Mit deinen Eltern?»
    «Mit meinem Freund. Er sitzt im Auto.»
    «Möchte dein Verlobter nicht reinkommen? Ruf ihn schnell rein, Schatz.»
    Sie erhob sich halb aus dem Sessel, die beringten, faltigen Hände auf ihren mageren Oberschenkeln, dem dunkelblauen Rock. Einen Moment lang hatte ich durchaus Lust, einen fünfzigjährigen Kerl ins Haus zu rufen, einfach nur des Effektes wegen. Wie alt mochte sie selbst sein? Anfang sechzig? Sie trug eine Perlenkette mit einem goldenen Medaillon und dazu passende Clips an ihren schlaffen Ohrläppchen. Scott und ich hatten einmal auf dem Dachboden des Hauses gespielt, und da stand ein Kabinenkoffer voller Pelzjacken, Ketten, Armbänder, Stiefel, Schuhe. Ich durfte bestimmen, was er anziehen sollte. Mich beschlich das Gefühl, dass der Schmuck um ihren auffallend faltigen Hals und ihre Handgelenke aus diesem Koffer stammte.
    «Nein, machen Sie sich keine Umstände. Der wartet einen Moment im Wagen. Wir sind für ein paar Tage in San Francisco. Ich dachte, wir fahren mal kurz in unserem alten Viertel vorbei. Hier hat sich kaum etwas verändert.»
    «Ihr wohnt also noch immer in Amsterdam … Ihr wart so eine nette und spontane Familie. Ihr seid so wunderbar euren eigenen Weg gegangen.»
    Sie log. Wir waren ihr ein Dorn im Auge gewesen. Sie verwechselte die Niederlande mit Amsterdam, natürlich tat sie das, Sodom oder Gomorra, was spielte das schon für eine Rolle.
    «Und wie stehen die Dinge hier?», fragte ich. «Mit Ihrem Mann? Geht er immer noch so gern segeln?» Scotts schmächtiger Vater. Ein fleißiger Arbeiter mit blondem Schnauzer, der jeden Morgen in Stahlkappenschuhen pfeifend in seinen Convertible stieg und irgendwohin fuhr, zu einer Fabrik oder Werft oder weiß Gott wohin, am Wochenende im häuslichen Ausstellungsraum aber einen abwesenden, reizbaren Eindruck machte. Eines Sonntagmorgens hatten Scott und ich seinem seelöwenartigen Vater geholfen. Wenn ihr euch ordentlich anstrengt, kriegt jeder von euch fünf Dollar. Mit offenem Dach, sodass wir einander kaum verstehen konnten und es kaum auffiel, dass Scotts Vater ein wortkarges Walross war, fuhren wir zur Bucht, am Yachthafen und an einem Containerverleih vorbei, und hielten vor einem zerbeulten Wellblechschuppen, der, wie sich zeigte, mit meterlangen Drahtseilen vollgestapelt war. Schräg neben dem Lagerschuppen stand auf Holzböcken das Gerippe eines Schiffsrumpfs, und zwar so verrostet und trist, dass mir Neunjähriger die Tränen in die Augen schossen. Versuchte er etwa, selbst ein Boot zu bauen? Das sichere Scheitern dieses Unternehmens trieb mir das Blut in Wangen und Hals. Ohne nähere Erklärung verschwand der Mann in dem Schuppen, aus dem er dann, leise fluchend, Drahtseile herauszerrte und nach draußen schob. Abwechselnd ergriffen Scott und ich eines der Seile und schleppten das bleischwere, durchhängende Metall zusammen mit seinem Vater ans andere Ende des Areals, zum

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