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Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Buwalda
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das Fenster weiter. Die Luft, die von draußen hereindrang, war warm und zähflüssig, er zog die Vorhänge zu. Er hörte, wie sie ihre vom Weinen triefende Nase hochzog. «Na komm schon», sagte er.
    «Also gut», sagte sie, als er sich wieder neben sie gelegt hatte. «Zunächst mal musst du wissen, dass Wilbert eine Zeitlang hier gewohnt hat. Ein Jahr ungefähr.»
    «Wie bitte?», sagte er. « Wo. Hier?»
    «Hier. Im Bauernhaus. Fast das ganze Jahr 1989 hat er hier gewohnt. Bei uns.»
    Sie klang, als informierte sie ihn darüber, dass fortan der Müll am Donnerstag rausgestellt werden müsse. Die Hand, mit der er die Schirmlampe auf seinem Nachtschränkchen einschaltete, war feucht. Mit weit aufgerissenen Augen betrachtete er ihren blonden Hinterkopf. Wusste er tatsächlich nichts über ihr Leben? «Du redest Unsinn», sagte er.
    «Schön wär’s.»
    Er war sprachlos. Erst nach einer Weile fragte er: «Aber wieso? Was sollte er hier?»
    «Wohnen. Du wohnst jetzt doch auch hier? Manchmal haben Leute eben keine Wohnung.»
    Mit derselben beherrschten, wahnsinnig machenden Selbstsicherheit, die keinerlei Ähnlichkeit mit dem Wutausbruch kurz zuvor erkennen ließ, berichtete sie ihm, was sich ereignet hatte, als ihre Eltern, Janis und sie aus Amerika zurückgekommen waren. Während der ersten Jahre auf dem Tubantia-Campus erreichten sie Hinweise, dass es Wilberts Mutter nicht gutging; es ging ihr sogar richtig schlecht. Sie trank. Sie soff . Die Jahre, in denen Margriet Wijn ihrem Nachnamen alle Ehre machte, indem sie pro Tag einen Liter Wein trank, nicht mehr, aber auch nicht weniger, lagen hinter ihr, Schnaps stand jetzt auf dem Programm, Whisky, Genever, billiger Wodka, Fusel, den sie ebenfalls literweise trank, sodass ihr Nachname einen optimistischen, sogar nostalgischen Beiklang bekam. Von ihrem Bruder hörten sie, dass Margriet hin und wieder ein paar Monate auf Texel war, weggeschlossen in einer Jellinek-Klinik. «Und eines Tages», sagte Joni, ihm immer noch den Rücken zuwendend, «war sie dann tot.»
    Nicht einmal vierundzwanzig Stunden nachdem Wilberts Mutter sich totgesoffen hatte, unglücklicherweise ausgerechnet am siebzehnten Geburtstag ihres Sohnes, verkündete Menno Wijn dem Jungen, dass er lange genug mit ihm unter einem Dach gelebt habe. Finde ich auch, sagte Wilbert. Ein paar Tage später stand Sigerius auf einem Friedhof in Utrecht und sah zu, wie Margriets ausgezehrter Trinkerleib bestattet wurde. Erst als sich das anschließende Kaffeetrinken dem Ende zuneigte, ging er zu seinem Sohn; ohne jeden Plan, wie er Joni Jahre später gestand, faktisch hatte er vor den bösen Blicken seiner Ex-Schwiegerfamilie kapituliert. In einem Anfall schuldbewusster Väterlichkeit versicherte er Wilbert, dass in Enschede die Tür immer für ihn offen stehe, er solle einfach mal sehen.
    Das war nicht auf taube Ohren gestoßen. Zwei Wochen nach der Beerdigung seiner Mutter stand Wilbert vor ihrem Bauernhaus. Unangekündigt. Siebzehn und auf Trebe. Sein Moped hatte er nicht wie ein normaler Mensch an der Straße abgestellt, sondern er war damit hinters Haus geknattert. Er parkte es mitten auf der Kleewiese, pflanzte sich davor auf und wartete, bis seine neuen Familienangehörigen im Licht der Aprilsonne herbeigeeilt kamen. Aaron sah es vor sich: das im Leerlauf vor sich hin knatternde Cross-Moped und davor der zukünftige Mörder, herangewachsen, pickelig, frech, in einem ärmellosen T-Shirt, aus dem, so stellte er es sich vor, zwei sehnige Gliedmaßen hingen, sonnenverbrannte Arme, die dazu geschaffen waren, Binnenlastkähne zu löschen, gezielte Schläge auszuteilen, Mädchen gegen Ziegelmauern zu pressen.
    Benommen fragte er: «Hast du ihn erkannt?»
    «O ja», sagte sie. «Er sah so aus, wie ich ihn mir vorgestellt hatte.» Nach elf Jahren war Wilberts sattelartiges Gesicht noch immer zigeunerhaft, aber die Kunstdruckträne war einem leicht entflammbaren Grinsen gewichen, unglaubwürdig und argwöhnend zugleich. Sein Haar war immer noch pechschwarz, beinahe blau, jedoch länger und dichter.
    Joni zufolge war das Jahr 1989 das merkwürdigste ihres Lebens gewesen, doch das hörte Aaron nur halb. Er war vollkommen verblüfft von der Mitteilung an sich. Der Hammerschläger von IJmuiden hatte also hier gewohnt. Joni, die vier Jahre lang kein Wort darüber verloren hatte, Sigerius auch nicht, niemand. Sigerius musste davon ausgegangen sein, dass er Bescheid wusste, was eine selbstverständliche Annahme war, denn wie

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