Bonita Avenue (German Edition)
konnte er so etwas nach vier intensiven Jahren mit Joni nicht wissen – Aaron war so fassungslos, dass er vergaß, wütend zu werden; zu sehr beschäftigte ihn die irrwitzige Vorstellung, dass Wilbert Sigerius unten in Tennissocken auf dem altrosafarbenen Dreisitzer gelegen, auf der Terrasse im Garten die Zylinder seiner Honda ausgefeilt, seine ölverschmierten Hände unter derselben Dusche gewaschen hatte, die er morgen früh benutzen sollte.
«Wo hat er denn geschlafen?» Eine blöde Frage, die unbedingt gestellt werden musste.
«Nebenan», sagte Joni, «im Arbeitszimmer meines Vaters. Am Tag seiner Ankunft haben sie zusammen seinen Schreibtisch rausgetragen und dieses Bett hier rein. Er hat in diesem Bett geschlafen.»
«Du machst Witze.»
«Tja», sagte sie. «Vor allem die ersten Wochen waren schlimm. Weil er auf einmal da war. Beim Frühstück, in der Badewanne, abends mit der Fernbedienung in der Hand. Anfangs habe ich Kerzen angezündet, damit er wieder verschwindet.»
«Kerzen?» Er war verärgert, aber auch neugierig.
«Hier», sagte sie, «auf dem Fensterbrett. Teelichte. Ich habe gebetet, dass er seinen Krempel wieder hinten auf sein Moped schnallt. Und diese große Lippe gleich mit. Ganze zehn Minuten lang ist der Kerl schüchtern gewesen. Wenn man mich in der Schule gefragt hat, wer er ist, dann habe ich gelogen. Ich sagte dann, Wilbert nimmt an einem ungarischen Austauschprojekt teil.»
Er seufzte tief. «Warum erfahre ich das erst jetzt? Wie ging es weiter?»
«Zunächst gaben sich alle große Mühe», fuhr sie fort, «Papa, Mama, Janis, ich – und er selbst auch. Er machte uns die merkwürdigsten Geschenke. Wenn wir im Garten saßen und meine Mutter zum Beispiel erwähnte, ihr Föhn sei am Morgen kaputtgegangen, dann schenkte er ihr am nächsten Tag einen neuen. Weil er so dankbar war.»
«Gestohlen?»
«Das nicht. Wilbert hatte Geld wie Heu, er kaufte den teuersten Föhn. Meine Eltern wussten nicht, wie sie darauf reagieren sollten. Da wickelte meine Mutter an einem ganz normalen Dienstagabend diesen Föhn aus Geschenkpapier. Na so was, vielen Dank, Wilbert. Mein Vater traute dem Braten nicht und klapperte die Läden ab, ging zu V & D und zu Blokker und zu Scheer & Foppen, bis er schließlich beim Kijkshop landete, wo man ihm bestätigte, dass tatsächlich ein Junge mit Motorradhelm und Randstad-Akzent diesen Föhn gekauft hatte. Na bitte, sagte er daraufhin. Während der ersten Monate war mein Vater die treibende Kraft. Voller Optimismus noch. Er wollte Wilbert schnell mal erziehen.»
«Was für ein Irrtum.»
«Du weißt, wie es ausgegangen ist», sagte sie. «Aber was wussten wir schon? Ich zum Beispiel wusste nicht mal, dass er bereits im Knast gewesen war. Mit der Zeit stritten Papa und er sich immer öfter. Wie die beiden aneinandergerieten, unglaublich. Und dabei ging es noch gar nicht um die richtigen Probleme, ich meine: die Zwischenfälle, die Raufereien in der Stadt, die Einbrüche, das Kokain. Nein, immerzu ging es ums alltägliche Miteinander. Ständig Diskussionen über nichts und wieder nichts. Diese endlosen Auseinandersetzungen wegen seines Musikgeschmacks, wenn ich daran zurückdenke …» Draußen war das Martinshorn eines Rettungswagens zu hören.
Als sie weitersprach, klang sie weniger gezwungen. «Wilbert mochte Rap und Hiphop. Public Enemy, die vor allem. Ich fand das eigentlich interessant. Chuck D, Flavor Flav, Terminator X, ich kann die Namen im Schlaf aufsagen. Yo! Bum Rush The Show, It Takes A Nation Of Millions To Hold Us Back , so tönte es den lieben langen Tag aus vier großen Boxen, die er innerhalb kürzester Zeit irgendwo aufgetrieben hatte. Leiser! – ich höre meinen Vater immer noch brüllen. All die Wut und Verzweiflung in diesem Geschrei am Fuß der Treppe. Wenn ich mit dem Fahrrad aus der Schule kam, über den Campus, dann fuhr ich den Langekampweg entlang, und noch bevor unser Bauernhaus zwischen den Bäumen zu sehen war, hörte ich schon das Wummern. Louder Than A Bomb. Aus dem kleinen Kabuff hier nebenan.»
«Bei uns gab’s früher auch Knatsch wegen der Musik. Das ist normal.»
«Glaub mir», sagte sie, «das hier war abnormal. Auge um Auge bei jeder noch so kleinen Kleinigkeit. Wegen nichts, wegen … Cola . Wir bekamen zu Hause nie Cola. Dann taucht Wilbert auf, und es stellt sich heraus, dass er abhängig ist von Cola. Wilbert trinkt schon sein ganzes Leben lang zwei Liter Cola am Tag, aber nicht irgendwelche Cola, sondern Coca
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