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Bonjour Tristesse

Bonjour Tristesse

Titel: Bonjour Tristesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Françoise Sagan
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sich zu mir
herab und küßte mich auf die Schulter, bevor er ging. Diese Geste überraschte
mich und rührte mich wie ein Versprechen. Anne fixierte mich wieder mit diesem
ernsten und abwesenden Blick, als ob sie an ganz etwas anderes dächte. Das
reizte mich: Wenn sie an etwas anderes dachte, hatte sie kein Recht, so zu
handeln. Ich ging auf sie zu und tat aus purer Höflichkeit so, als ob ich mich
schämte. Mechanisch entfernte sie eine Fichtennadel von meinem Hals, und jetzt
schien sie mich erst wirklich zu sehen. Ich sah, wie sie ihre Maske der
Verachtung aufsetzte, dieses müde Gesicht voller Mißbilligung, das sie
außerordentlich schön und mich ein wenig ängstlich machte:
    »Du solltest eigentlich wissen, daß
diese Art von Vergnügen gewöhnlich in einer Klinik endet«, sagte sie.
    Sie stand kerzengerade, während sie mit
mir sprach, und starrte mir in die Augen, und es war mir entsetzlich
unangenehm. Sie gehörte zu den Frauen, die gerade aufgerichtet und ohne eine
Bewegung reden können; ich konnte das nicht, ich brauchte einen Sessel, ich
brauchte die Hilfe eines Gegenstandes, den ich angreifen konnte, die Hilfe
einer Zigarette, ein Bein, mit dem ich wippte und dem ich dabei zusah...
    »Man muß nicht übertreiben«, sagte ich
lächelnd. »Ich habe Cyril nur geküßt, und das bringt mich noch nicht in die
Klinik.«
    »Ich möchte dich bitten, ihn nicht
wiederzusehen«, sagte sie, als ob sie mir nicht glaubte. »Widersprich mir
nicht, du bist siebzehn Jahre alt, ich bin jetzt ein bißchen für dich
verantwortlich, und ich lasse es nicht zu, daß du dein Leben verpfuschst.
Außerdem hast du genug zu arbeiten, damit kannst du deine Nachmittage
ausfüllen.«
    Sie drehte mir den Rücken zu und ging
mit ihren langsamen, lockeren Schritten wieder zum Haus zurück. Ich war so
betroffen, daß ich wie angewurzelt stehenblieb. Sie glaubte also, was sie
gesagt hatte. Sie würde meine Argumente und mein Leugnen mit einer
Gleichgültigkeit entgegennehmen, die schlimmer war als Verachtung, so als ob
ich gar nicht existierte, als ob ich ein Nichts sei und nicht ich selber,
Cécile, die sie schon immer gekannt hatte — ich schließlich, die zu strafen ihr
schmerzlich sein müßte.
    Meine einzige Hoffnung war mein Vater.
Er würde so reagieren wie immer: »Was ist das für ein Bursche, mein Kätzchen?
Ist er wenigstens schön und gesund? Nimm dich vor den Schmutzfinken in acht,
mein kleines Mädchen.« Er mußte in diesem Sinne reagieren, oder es war aus mit
meinen Ferien.
    Das Abendessen verlief wie ein
Alptraum. Nicht einen Moment hatte Anne daran gedacht, mir zu sagen: »Ich werde
deinem Vater nichts erzählen, ich bin keine Denunziantin, aber du mußt mir
versprechen, ordentlich zu lernen.« Diese Art von Berechnung war ihr fremd.
Einerseits war ich froh darüber, andererseits nahm ich es ihr übel, denn so
hätte ich ein Recht gehabt, sie zu verachten. Sie vermied es, diesen Fehler zu
begehen; sie machte nie einen Fehler, und erst nachdem wir die Suppe gegessen
hatten, schien sie sich an den Vorfall zu erinnern.
    »Ich hätte gern, daß du deiner Tochter
ein paar gute Ratschläge gäbest, Raymond. Ich habe sie heute abend mit Cyril im
Fichtenwald gefunden, und sie schienen sich etwas zu gut zu verstehen.«
    Mein Vater versuchte das Ganze als
Scherz aufzufassen, der Arme:
    »Was sagst du da? Was taten sie?«
    »Ich habe ihn geküßt«, rief ich
leidenschaftlich. »Anne hat geglaubt...«
    »Ich habe gar nichts geglaubt«;
unterbrach sie mich. »Aber ich glaube, es wird gut sein, wenn sie ihn eine
Weile nicht sieht und statt dessen ein bißchen für ihre Prüfung arbeitet.«
    »Die arme Kleine«, sagte mein Vater.
»Dieser Cyril ist doch eigentlich ein sehr netter Bursche?«
    »Und Cécile ist ein sehr nettes kleines
Mädchen«, sagte Anne, »und deshalb wäre ich verzweifelt, wenn ihr ein Unglück
passierte. Und bei der vollkommenen Freiheit, die sie hier hat, der ständigen
Gesellschaft dieses jungen Mannes und ihrem Mangel an Beschäftigung halte ich
das für unvermeidlich. Du nicht?«
    Bei dem Klang dieses »Du nicht?«
blickte ich auf, und mein Vater senkte offensichtlich bekümmert die Augen: »Du
hast zweifellos recht«, sagte er. »Ja, eigentlich solltest du wirklich ein
bißchen arbeiten, Cécile. Du willst doch schließlich deine Prüfung nicht noch
einmal machen?«
    »Was wäre schon dabei?« antwortete ich
kurz angebunden.
    Er blickte mich an und wandte die Augen
gleich wieder ab. Ich war geschlagen. Und

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