Bony und die weiße Wilde
über die sandige Fläche und eilte mit so unerhörter Geschwindigkeit und in solcher Höhe auf die Männer zu, daß Bony fast erschrak, obwohl sie drei Meter über dem Sandstrand standen. »Wenn Sie jetzt draußen wären, würde es Sie umreißen«, schrie Matt. »Ist das nicht ein tolles Schauspiel?«
Gurgelnd umspülte das Wasser den Felsen, auf dem sie standen, und der Gischt sprühte hochauf. Der Brecher lief weiter bis zu den Klippen und stürmte mit verzweifelter Wut gegen die Barriere an. Und dann, ganz plötzlich, fluteten die Wassermassen zurück, und nach wenigen Sekunden lag die Sandfläche wieder frei.
»Wenn Sie von diesem Brecher erwischt werden, befinden Sie sich im Handumdrehen draußen am Tor«, versicherte Matt unnötigerweise, denn Bony zweifelte nicht daran. »Ich wollte Ihnen das nur zeigen, damit Sie sehen, daß man der See hier nicht trauen kann. An einem Tag wie heute sieht sie ganz harmlos aus, aber wenn Sie auch nur einen Augenblick lang nicht aufpassen, hat es Sie schon erwischt.«
»Wie schrecklich muß es dann erst bei rauher See sein!«
»Wenn ein ordentlicher Sturm tobt, kann weiter kein Unglück passieren, weil sich dann nämlich niemand weit hinauswagt. Seien Sie stets vorsichtig. Und jetzt verschwinden wir besser von diesen Felsen, sonst schneidet uns noch die Flut den Rückweg ab, und wir hocken hier wie zwei Krähen. Am besten nehmen wir ein paar Fische mit. Ich kenne eine Stelle, w o wir einen guten Fang machen werden.«
Der Wind zerzauste das Haar des Mannes, der imstande war, seinen Haß dreizehn Jahre lang mit sich herumzutragen, und verwandelte ihn in einen Jungen, der auf Abenteuer auszieht. Innerhalb von fünfzehn Minuten hatten sie ein Dutzend zweipfündiger Schwarzforellen gefangen und kletterten auf die Klippe hinter dem Tor. Der Weg war steil, aber für einen sportlich gestählten Mann nicht schwierig.
Oben war die Klippe von Teesträuchern umsäumt, die aussahen wie dunkelgrün gestrichene Iglus. Ein solcher Strauch konnte einen Umfang von dreißig Metern erreichen, und ein bewaffneter Mann war imstande, in seinem Schutz wochenlang seinen Verfolgern zu entgehen.
Die Stelle, an der Bony und Matt den Gipfel erreichten, war mit zähem Gras bewachsen. Die beiden Männer setzten sich an den Klippenrand, um noch einmal »Australiens Fronttür< zu bewundern, die von einer leuchtendblauen See eingerahmt war.
»Hier gibt es überall wunderbare Verstecke«, sagte Matt mit einer kreisenden Handbewegung. »Und die Herren von der Polizei in Bunbury bilden sich ein, daß Sasoon nichts weiter zu tun hat, als Marvin ganz einfach festzunehmen.«
Bony schenkte Tee aus der Thermosflasche in die Emaillebecher und zuckte die Achseln.
»Es ist zweifellos eine schwierige Aufgabe«, erwiderte er dann. »Mit einem Frontalangriff würde man nur alles verderben. Kennen Sie alle Höhlen und Schlupfwinkel hier in diesen Kliffs?«
»Nein«, erwiderte Matt grimmig, aber dann lächelte er. »Als Jeff und ich noch Kinder waren, mußten wir schwer arbeiten und hatten keine Zeit zum Herumstrolchen oder zum Fischen. Unsere Kinder hingegen hatten keine anderen Pflichten, als ihre Schularbeiten zu machen. Durchaus möglich, daß Marvin diese Steilküste tausendmal besser kennt als Jeff und ich. Und wenn wir die ganze Gegend durchkämmen - es könnte uns passieren, daß Marvin uns seelenruhig aus einer Höhle zusieht, die wir eine Stunde zuvor noch durchsucht haben. Ich möchte fast wetten, daß er uns auch jetzt beobachtet.«
»Trotzdem - er ist nicht der Typ, es hier jahrelang als Eremit auszuhalten«, entgegnete Bony. »Er braucht die hellen Lichter der Stadt - und die schlechtbeleuchteten Seitenstraßen, wo er seine Opfer finden kann. Für ihn ist das Anpirschen viel aufregender als später der Sieg. Vielleicht ist er nicht mehr hier.«
»Möglich, Nat. Und das wäre dann meine Schuld. Ich hätte Sasoon schon eher Bescheid sagen sollen.«
»Gewiß, das hätten Sie tun sollen, aber es hat keinen Sinn, nun nachträglich über dieses Versäumnis zu jammern. Wir müssen uns mit der gegenwärtigen Situation abfinden und entsprechend vorgehen.« Bony zündete sich eine Zigarette an, und als Matt ein Streichholz an seine Pfeife hielt, sah Bony, daß er nicht mit dem Wind zu kämpfen brauchte. »Eins steht fest: Wenn Marvin noch hier ist, muß er sich von zu Hause Verpflegung holen. Oder jemand von der Farm muß ihm das Nötige bringen. Und dies ist das schwache Glied in Marvins Kette.«
Matt
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