Bony und die weiße Wilde
nickte zustimmend. Bony bemerkte überrascht, daß der Rauch seiner Zigarette einige Meter ungehindert nach oben schwebte, bis er endlich vom Wind weggerissen wurde. Es gab eine einfache Erklärung für dieses Phänomen. Die von See kommende Brise wurde am Steilhang des Kliffs nach oben gelenkt und zog erst in einiger Entfernung über den Kamm landeinwärts ab, um dort in einer rotierenden Bewegung an ihren Ausgangspunkt zurückzukehren. Sie brachte den wachsigen Duft des Teestrauchs und den Geruch der kleinen blauen Blumen mit.
»Ich nehme an, Sie wissen über seine Untaten Bescheid?« fragte Bony.
»Über einige. Genug, daß man sich schämt, ein Mensch zu sein.«
»Leider empfinden nicht alle so, Matt. Sein zweites Verbrechen in Sydney bestand darin, daß er in einem Park ein junges paar überfiel. Es war kurz nach zehn Uhr abends, die Beleuchtung im Park nur schwach. Die beiden jungen Leute waren verlobt und machten Pläne für die Zukunft. Unser Freund Marvin schlug den Mann bewußtlos und verging sich an dem Mädchen. Die schwachsinnigen Richter schoben den Verlobten die Schuld zu. Wer sich um zehn Uhr abends in einen schwacherleuchteten öffentlichen Park setze, stelle für einen psychisch labilen Menschen eine nicht zu widerstehende Versuchung dar - so behaupteten sie. Marvin wurde wegen des Notzuchtverbrechens zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Nach drei Jahren entließ man ihn zur Bewährung.«
»Würde er eine härtere Strafe bekommen haben, wenn man über unsere Rose Bescheid gewußt hätte?« fragte Matt verzweifelt.
»Möglich. Aber auch dann hätte man ihn wohl nach drei Jahren entlassen. Die Psychiater behaupten, er leide unter einem moralischen, nicht aber charakterlichen Defekt.«
»Und was ist da der Unterschied?«
»Da müssen Sie die Psychiater fragen. Auf jeden Fall befindet sich der junge Mann seitdem im Irrenhaus und wird dort auch wohl bleiben, seine Verlobte nahm sich ein Jahr später das Leben. Marvin wurde in der Zeitspanne von dreizehn Jähren fünfmal verurteilt - von jenen Verbrechen zu schweigen, bei denen er zwar in Verdacht stand, wo aber die Beweise nicht ausreichten.«
Bony zündete sich eine neue Zigarette an und beobachtete, wie der Rauch in einer bestimmten Höhe vom Luftstrom erfaßt wurde.
»Ich habe gehört, daß Marvin außerordentlich intelligent sei«, fuhr Bony fort. »Er ist anpassungsfähig, wird sich also genau den jeweiligen Umständen entsprechend verhalten. Im Gefängnis wird er sich einwandfrei geführt haben. Er wußte sicher, was die Psychiater hören wollten. Einmal fand man bei seiner Verhaftung in seinem Zimmer mehrere Werke über Psychologie und Psychiatrie. Hinzu kommt, daß er sich ausgerechnet Neusüdwales als Jagdgebiet ausgesucht hatte.«
Bony drückte seine Zigarette aus und zog die Luft durch die Nase ein.
»Sie und Jeff Rhudder sind nicht die einzigen, die geschworen haben, Marvin niederzuschießen«, sagte er leise. »Auch der Vater eines kleinen Mädchens hat diese Drohung ausgestoßen, und er soll alles darangesetzt haben, sie wahrzumachen. Dies ist wohl der Grund, warum Marvin die sicheren Gefilde von Neusüdwales verließ und nach Südaustralien ging. Er türmte ganz einfach, weil er Angst hatte. Ich erzähle Ihnen das, damit Sie merken, daß Marvin Rhudder nicht die furchtlose Führernatur ist, der intelligente, gutaussehende junge Mann, als den Sie ihn gekannt haben, ehe er sich an Ihrer Tochter vergriff. Als Polizeibeamter muß ich natürlich das Gesetz achten, aber als Vater von drei Jungen -«
Er warf sich plötzlich nach hinten, sprang auf und lief im Sturmschritt hinter die Teesträucher. Trotz seiner Verblüffung reagierte Matt sofort. Er war dicht neben Bony, als dieser stehenblieb.
»Zum Teufel!« brummte er und beobachtete Bonys sich blähende Nüstern und die blitzenden Augen. Der Inspektor legte ihm die Hand auf den Arm, und nun blickte auch Matt in dieselbe Richtung. Bony konzentrierte sich auf den nächstgelegenen Teestrauch, dann auf den folgenden - und nun bemerkte auch Matt eine winzige Bewegung.
»Für den Bruchteil einer Sekunde sah ich nur seinen Rücken«, flüsterte Bony und atmete schwer. »Ich sah, daß er ein Gewehr hatte. Er stürzte sich kopfüber in den Teestrauch. Moment!« Matt hatte nicht bemerkt, daß sich das niedergetretene Gras wieder aufzurichten begann. Aber es hatte jetzt keinen Sinn, Spuren zu verfolgen. Bony zog Matt zum Kliff und außer Sichtweite des Mannes mit dem Gewehr.
»Wenn er in
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