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Bookman - Das ewige Empire 1

Bookman - Das ewige Empire 1

Titel: Bookman - Das ewige Empire 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lavie Tidhar
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was Sie meinen.«
    Seufzend richtete er sich wieder auf. Schon jetzt würde er zu spät
zu seiner Verabredung mit der Inspektorin kommen.
    Der Bettler beugte den Kopf. Bevor er sich wieder in seine Decken
hüllte, murmelte er noch: »Da bricht ein edles Herz. Gute Nacht, mein Fürst!
Und Engelscharen singen dich zur Ruh’!«
    Â»Danke«, erwiderte Orphan. Dann setzte er seinen Weg fort, während
der Bettler vom Nebel verschluckt wurde.
    Er ging um das Bahnhofsgebäude herum, und nach kurzer Zeit erreichte
er einen weiteren Steinbogen. In das Gemäuer waren kleine Fenster eingelassen,
durch die anheimelndes Licht fiel, und über einer einladend wirkenden Tür
prangte ein Schild mit der Aufschrift The Lizard’s Head .

8
Lord Byrons Simulacrum
    Kinder des Geists sind nicht aus Lehm
gemacht;
Sie währen ewig – sind die Kraft,
Die reinres Licht in uns entfacht.
    Lord Byron, »Junker Harolds Pilgerfahrt«
    Orphan schob die Tür auf und trat ein. Stickige Wärme
schlug ihm entgegen, und Schwaden von Tabakrauch hüllten ihn ein. Er hörte das
Zischen von Würstchen, die in der Pfanne brutzelten, und nahm den Biergeruch
wahr, der sich im Laufe der Jahre in die Grundmauern des Pubs gefressen hatte.
    Der dunkle, verräucherte Raum war voller Gestalten, die Orphan nur
undeutlich zu erkennen vermochte. Nachdem er seinen Mantel ausgezogen hatte,
blickte er sich suchend nach Irene Adler um. In dem Moment bemerkte er, wie ihm
aus einer Ecknische eine weiße Hand zuwinkte. Er gesellte sich zu ihr. Sie saß
allein neben einem Fenster in Form eines Bullauges, über das sich von außen
efeuartig der Nebel rankte.
    Â»Nehmen Sie Platz«, forderte Irene Adler ihn auf.
    Auf dem Tisch vor ihr stand ein halb leeres Glas Weißwein. Ihre
hellen, wachsamen Augen hatten dunkle Ringe. »Ich hol mir was zu trinken«,
sagte Orphan.
    Er ging zur Bar, bestellte, zahlte und kehrte mit einem großen Glas
Bier zum Tisch zurück. Als er sich gegenüber der Inspektorin niederließ, fiel
ein Schatten auf ihren Tisch.
    Dieses Gesicht hatte er schon einmal gesehen – das schwarze lockige
Haar, die spitze Nase, die glatten Gesichtszüge: Lord Byron. Ein jugendlicher
Lord Byron, an dem der Zahn der Zeit noch nicht genagt hatte. »Byron«, sagte
Irene Adler. »Bitte setzen Sie sich. Orphan, das ist Lord Byron.«
    Ohne ein Wort zu sagen, nahm Byron neben der Inspektorin Platz. Da
Orphan ein Gebilde dieser Art bisher selten zu Gesicht bekommen hatte, musterte
er den Neuankömmling eingehend.
    Es war bestürzend. Die jugendlichen Gesichtszüge, das Haar, selbst
die Augen schienen einem jungen Mann zu gehören, doch bei genauerem Hinsehen
stellte Orphan fest, dass sie so starr und unveränderlich waren wie die einer
Puppe. Das war nicht Byron, der Dichter, der Rebell – der war schon seit Langem
tot. Das war die bemerkenswerte Nachbildung eines Mannes, gleichwohl eine
Nachbildung, und jetzt, da er Gelegenheit hatte, ihn näher zu betrachten,
bemerkte Orphan, dass das Gesicht mechanisch von einem Ausdruck zum anderen
wechselte und der Körper insgesamt zu kantig und zu eckig war. Als Byron den
Kopf drehte, um Irene anzusehen, nahm Orphan sogar das kleine, verräterische
Metallschildchen wahr, das unauffällig in Byrons Hals eingelassen war.
    Byron richtete den Blick auf Orphan, der feststellte, dass auch die
Augen künstlich waren und wie Glasmurmeln wirkten, bar jeden Gefühls, ja, dass
sie nicht wirklich etwas aufzunehmen schienen. Das Byron-Simulacrum seufzte (voller
Staunen beobachtete Orphan, wie sich seine Brust bewegte und die Luft durch
Mund und Nase entwich) und sagte: »Ich bin kein Mensch.«
    Orphan schwieg. Was hätte er darauf auch entgegnen können?
    Schließlich ergriff Irene das Wort. Sie sah Orphan an und sagte:
»Können Sie sich noch erinnern, was im Rose Theatre geschehen ist?«
    Orphan erwiderte ihren Blick und dachte an Lucy.
    Â»Schildern Sie es mir.«
    Er riss sich zusammen und kehrte in Gedanken zu dem zurück, was er
gesehen hatte. Henry Irving in seiner Rolle als Shakespeare. Beerbohm Tree, der
als der alte Seemann auf die Bühne kam und einen schweren, in Leder gebundenen
Folioband in den Händen hielt. Irving, der das Buch aufschlug.
    Das explodierende Buch.
    Â»Was ist mit Beerbohm passiert?«
    Orphan sah Irene verwirrt an und versuchte, ein klares Bild
heraufzubeschwören, was ihm

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