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Bookman - Das ewige Empire 1

Bookman - Das ewige Empire 1

Titel: Bookman - Das ewige Empire 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lavie Tidhar
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fast übersehen hätte –, die
all die Jahre geduldig auf ihn, nur auf ihn, gewartet zu haben schien: Der Bookman kömmt .

7
Leichenräuber
    Die Leichenräuber waren da
Und kriegten mich zu fassen.
Ich wünschte bloß, die hätten mich
In Frieden ruhen lassen.
    Du hast gedacht, ich sei begraben,
Mit Anstand, still und traut,
Doch haben aus dem Grabe sie
Gebuddelt deine Braut!
    Der Arm, der dich umschlungen hat,
Ist jetzt bei Dr. Vyse.
Und meine Beine gehn spaziern
Im Hospital von Guy’s.
    Thomas Hood, Skurriles und Schnurriges
    Nur weg von dem Krankenhaus, durch die engen, verwinkelten
Straßen von Southwark. Die Abenddämmerung brach herein, und auf der anderen
Seite des Flusses leuchteten durch den Nebel hindurch die unzähligen Lichter
der großen Stadt auf, gleich Hunderten und Aberhunderten von Schmetterlingen,
die mit flatterndem Flügelschlag gegen die Finsternis ankämpften. Noch vor
einer Woche wäre Orphan stehen geblieben und hätte seinen kleinen Notizblock
und seinen Füllfederhalter herausgeholt, um schnell ein paar Zeilen zu
schreiben, um ein Gedicht zu verfassen, das diese Bewegung des Lichts in der
Dunkelheit einfing.
    Aber nicht jetzt.
    Weg vom Krankenhaus, fort von den hallenden Korridoren und der
erwartungsvollen Stille, die immer wieder von den Schreien Sterbender zerrissen
wurde. Weg von dem kalten Stein und den muffigen, nicht ganz geheuren Bibeln,
die in jedem Zimmer lagen, fort von dem Essen, das einem den Magen umdrehte,
weg vom scharfen Geruch chemischer Reinigungsmittel. Er ging durch den Nebel
und spürte die Anwesenheit des Bookman wie ein formloses, gespenstisches Wesen,
eine körperlose Wesenheit, die sich in der verpesteten Luft verbarg und ihn von
den Dächern und aus der Kanalisation heraus beobachtete.
    In der zweiten Nacht im Krankenhaus war er aus dem Bett
aufgestanden, weil er nicht hatte schlafen können und ihm die Raubdruckbibel
neben seinem Bett Unbehagen bereitete. Der Fußboden war kalt, doch das machte
ihm nichts aus. Er verließ das Zimmer und schloss hinter sich die Tür.
    Er ging leere Korridore entlang und lauschte auf die Geräusche der
Kranken, die aus den Zimmern drangen. Niemand hielt ihn auf, niemand befahl
ihm, ins Bett zurückzukehren. Er war allein und wandelte wie ein Geist durchs
Krankenhaus, als wäre er bereits tot.
    Die Kälte hüllte ihn ein, stieg wie sprießende Blumen aus dem
Fußboden auf, um in seine Füße einzudringen und sich im ganzen Körper
auszubreiten. Er durchquerte schummrig beleuchtete Stationen, und wenn er aus
den Fenstern blickte, sah er nichts als Finsternis, die sich wie ein Tuch über
das Krankenhaus gelegt hatte.
    Seine Schritte lenkten ihn auf vielerlei Umwegen nach unten, sodass
er Stockwerk um Stockwerk hinter sich ließ, während er mit nackten Füßen
lautlos durch die endlosen Korridore schritt.
    Er ging durch eine Tür mit der Aufschrift MEDIZINISCHE
FAKULTÄT und stieg eine Treppe hinunter. Die Luft wurde noch kälter und
war von einem durchdringenden chemischen Geruch geschwängert, der ein Kratzen
in seinem Hals hervorrief. Ich sollte aufwachen, dachte er. Ich dürfte nicht
hier sein. Doch er war in einem Traum gefangen und schaffte es nicht, wach zu
werden.
    Auf einmal befand er sich im Souterrain und konnte nicht weiter nach
unten gehen. Vor ihm erstreckte sich ein langer Korridor. Von der Decke hingen
nackte elektrische Glühbirnen, die ein summendes Geräusch von sich gaben und,
mal heller, mal trüber leuchtend, wie groteske zwinkernde Augen wirkten. Der
Gang wurde von einer Reihe geschlossener Türen gesäumt. Plötzlich drangen
Stimmen an sein Ohr, die sich näherten. Er machte kehrt und versteckte sich in
einem anderen Gang, um von dort aus zu beobachten, was im Korridor geschah.
    Er hörte, wie etwas Schweres über den Fußboden geschleift wurde, und
vernahm den keuchenden Atem von zwei oder mehr Männern. Dann sah er, dass es in
der Tat zwei Männer waren und dass jeder einen Sack hinter sich herschleifte.
Beide hatten glatt rasierte, alltägliche, fast nett wirkende Gesichter. Vor
einer Tür in der Mitte des Korridors machten sie halt, und einer von ihnen klopfte
zweimal an.
    Die Tür öffnete sich, ein Mann trat heraus. Er blickte verstohlen
nach links und rechts, mit einem nervösen, nahezu verängstigten
Gesichtsausdruck. Orphan erkannte ihn wieder – es war der Arzt,

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