Boomerang
einen Menschen, der nicht US-Amerikaner ist. Wie sind Sie je auf die Idee gekommen, sich Theorien zur finanziellen Zukunft dieser fernen Länder zurechtzuspinnen?
»Es war Island, das den Anstoß gegeben hat«, sagte er. »Island hat mich immer fasziniert.«
|22| »Aber wieso?«
»Haben Sie als Kind je
Risiko
gespielt?«, fragte er. »Ich habe es unheimlich gern gespielt. Und ich habe immer alle meine Armeen auf Island platziert. Weil man von dort aus
jeden
angreifen konnte.«
Die Überzeugung, dass man von Island aus jedes Land angreifen könne, hatte Kyle Bass dazu gebracht, sich umfassend über Island zu informieren und besonders aufmerksam hinzusehen, wenn in Island irgendetwas passierte. So brachte er beispielsweise in Erfahrung, dass Island von Geografen als ein Land gepriesen wurde, dem es gelang, sich selbst in lang anhaltenden Phasen widrigster natürlicher Bedingungen zu behaupten. »Wir sagten immer wieder: ›Diese Banken sind pleite.‹ Aber die Regierung hat die Banken immer wieder gerettet«, erklärte er. »Und mittendrin ging Island plötzlich bankrott. Und ich dachte, wow, das ist ja interessant. Wie ist es möglich, dass sie, nachdem sie tausend Jahre lang alles richtig gemacht und all diese natürlichen Widerstände überwunden haben, so einen Fehler machen konnten?«
Da hatte ich meine Antwort. Sein Interesse war mit einem Gesellschaftsspiel aufgekommen. Und es endete mit einer anderen Art von Gesellschaftsspiel. Und wieder einmal war Island ein guter Startpunkt.
|23| Wall Street auf dem Mond
K urz nach dem 6. Oktober 2008, dem Tag, an dem Island endgültig pleiteging, sprach ich mit einem Mitarbeiter des Internationalen Währungsfonds, der nach Reykjavík geflogen war, um zu eruieren, ob man dem Land nach einem derart spektakulären Bankrott noch Geld leihen konnte. Er war noch nie in Island gewesen, er wusste nichts über das Land und meinte, er hätte erst einmal auf einer Weltkarte nachsehen müssen, wo genau es sich befand. Er hatte sein Leben lang mit Ländern in wirtschaftlichen Notsituationen zu tun gehabt, vor allem Ländern in Afrika, die sich in finanziellen Dauerkrisen befinden. Island war eine vollkommen neue Erfahrung für ihn: eine außergewöhnlich wohlhabende Nation (Island nahm 2008 den ersten Platz des Human Development Index der Vereinten Nationen ein) mit gebildeten Bürgern, sich in der Vergangenheit überwiegend vernünftig verhalten hatten – um sich dann zusammenzutun und gemeinsam eine der größten Wahnsinnstaten der Finanzgeschichte zu begehen. »Island ist kein Land mehr«, sagte er zu mir. »Island ist ein Hedgefonds.«
Eine ganze Nation ohne die geringste Erfahrung in der Hochfinanz hatte sich die Wall Street angesehen und sich gedacht: »Das können wir auch.« Und einen Moment lang sah |24| es tatsächlich so aus. Im Jahr 2003 verfügten die drei größten Banken Islands zusammen über Einlagen von ein paar Milliarden Euro oder rund 100 Prozent des isländischen Bruttoinlandsprodukts. Im Verlauf der nächsten dreieinhalb Jahre wuchs ihr Vermögen auf 100 Milliarden Euro – eine Summe, die in keinem Verhältnis mehr zum Bruttoinlandsprodukt stand. Ein Wirtschaftswissenschaftler beschrieb es mir als »das schnellste Wachstum eines Bankwesens in der Geschichte der Menschheit«.
Da die Banken den Isländern gleichzeitig Geld liehen, um Aktien und Immobilien zu kaufen, explodierte im gleichen Zeitraum der Wert von isländischen Anlagen. Während sich der Wert des Dow Jones zwischen 2003 und 2007 verdoppelte, verneunfachte sich der Wert der isländischen Börse. In Reykjavík stiegen die Immobilienpreise um 200 Prozent. Im Jahr 2006 war die isländische Durchschnittsfamilie dreimal so reich wie im Jahr 2003, und dieser neue Wohlstand hing direkt oder indirekt mit dem neuen Investmentbanking zusammen. »Alle studierten sie Black-Scholes« (das Modell zur Bewertung von Finanzoptionen), erklärt Ragnar Arnason, Professor für Fischereiwirtschaft an der Universität von Island, der mitansehen musste, wie ihm die Studenten davonliefen, um Finanzwirtschaft zu studieren. »Der Fachbereich Mathematik hat Kurse in Finanzsteuerung angeboten. Hunderte Studenten sind in die Finanzwissenschaften geströmt.« Ganz Island hat so viele Einwohner wie eine Provinzstadt, doch seine Universität brachte Hunderte Finanzwirtschaftler hervor, und die Welt nahm das Land ernst.
Doch die Ambitionen auf dem globalen Finanzparkett erwiesen sich als fatal. Als die drei nagelneuen
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