Boomerang
Tag lang hörte ich zu, wie er und seine Kollegen fast euphorisch darüber diskutierten, wohin das alles führen würde. Sie sprachen schon längst nicht mehr über den Zusammenbruch einiger mickriger Anleihen. Sie sprachen über den Zusammenbruch ganzer Staaten.
Und sie hatten eine brandneue Investmenttheorie. Die lautete in etwa wie folgt: Von 2002 an hatte es in den reichen Industrienationen so etwas wie einen falschen Boom gegeben. |12| Was wie wirtschaftliches Wachstum aussah, waren in Wirklichkeit Geschäfte von Menschen, die sich Geld liehen, das sie aller Wahrscheinlichkeit nach nie würden zurückzahlen können. Grob gerechnet hatte sich die Schuldenlast weltweit seit 2002 von 84 Billionen auf 195 Billionen Dollar mehr als verdoppelt. »Eine solche Schuldenanhäufung hat es in der Geschichte der Menschheit noch nie gegeben«, erklärte Bass. Problematisch war daran, dass die Banken, die einen Großteil der Kredite gewährt hatten, nicht mehr wie private Unternehmen behandelt wurden, sondern wie Zweigstellen der jeweiligen Regierungen, die darauf vertrauen konnten, dass ihnen in jeder Krise aus der Klemme geholfen würde. Die Staatsschulden der Industrienationen hatten bereits einen alarmierenden Stand erreicht und waren infolge der Finanzkrise weiter im Steigen begriffen. Doch die Staatsschulden dieser Nationen waren nicht mehr nur die offiziellen Staatsschulden. In der Praxis enthielten sie auch die Schulden innerhalb des Bankensystems des jeweiligen Landes, die der Staat im Falle einer weiteren Krise übernehmen würde. »Als Erstes«, erklärte Bass, »versuchten wir in Erfahrung zu bringen, wie groß diese Bankensysteme in Bezug zu den Staatseinnahmen eigentlich waren. Es dauerte vier Monate, die notwendigen Informationen zu sammeln. Niemand hatte sie.«
Die Zahlen, die dabei herauskamen, waren erstaunlich: Irland beispielsweise mit seinen großen und immer noch wachsenden jährlichen Haushaltsdefiziten hatte Schulden angehäuft, die die Summe der Jahressteuereinnahmen um das 25-Fache überstiegen. In Spanien und Frankreich lagen die Schulden zehnmal höher als die jährlichen Steuereinnahmen. In der Geschichte haben Verschuldungen von solchem Ausmaß immer zum Scheitern der betreffenden Regierungen geführt. » |13| Der einzig gangbare Weg, den Karren aus dem Dreck zu ziehen, besteht für diese Länder darin, einen echten Haushaltsüberschuss zu erwirtschaften«, bemerkte Bass. »Und wenn das geschieht,
fresse ich einen Besen
.«
Er fragte sich dennoch, ob ihm irgendetwas entgangen war. »Ich machte mich auf die Suche nach jemandem, irgendjemandem, der etwas über die Geschichte von Staatsbankrotten wusste«, fuhr er fort. Und er stieß auf den führenden Experten auf diesem Gebiet, einen Harvard-Professor namens Kenneth Rogoff, der zusammen mit seiner Kollegin Carmen Reinhart zufällig gerade an einem Buch über die Geschichte der Staatspleiten arbeitete (
Dieses Mal ist alles anders – Acht Jahrhunderte Finanzkrisen
). »Ich ging die Zahlen mit Rogoff durch«, erklärte Bass, »und er sah sie sich nur an, lehnte sich im Sessel zurück und sagte: ›Ich kann kaum glauben, dass es so schlimm ist.‹ Und ich sagte: ›Moment mal. Sie sind der weltweit anerkannteste Experte auf dem Gebiet der Staatsbilanzen. Sie sind der Mann, an den man sich wendet, wenn ein Staat in die Krise gerät. Sie haben mit Ben Bernanke in Princeton gelehrt. Sie haben Larry Summers mit seiner zweiten Frau bekanntgemacht. Wenn Sie keine Ahnung haben, wer dann?‹ Und ich dachte, heilige Scheiße, wer passt überhaupt auf?«
Folglich lautete seine neue Investmenttheorie kurz gefasst: Die Krise des Subprime-Hypothekenmarktes war das Symptom, nicht die Ursache. Die zugrunde liegenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme, die sie hervorgebracht hatten, bestanden noch immer. Sobald sich die Investoren dieser Tatsache bewusst werden würden, würden sie aufhören, die großen westlichen Regierungen als risikolos einzustufen, und für Geld, das sie ihnen liehen, höhere Zinsen verlangen. Steigende Zinsen für ihre Kredite würden eine noch höhere Verschuldung |14| dieser Staaten nach sich ziehen, was wiederum einen weiteren Anstieg der Zinsen für geliehenes Geld zur Folge hätte. In einigen besonders dramatischen Fällen – Griechenland, Irland, Japan – würde schon bei relativ geringen Zinssteigerungen der gesamte Haushalt von den Schuldenzinsen aufgezehrt werden. »Wenn Japan beispielsweise zum gleichen Zinssatz Geld leihen
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