Boomerang
liegen unberührte Hochglanzbücher über Mode – alles, um die Deklassierungsängste eines Bauerntölpels aus der Provinz zu verstärken. Banker übernachten in Hotels wie diesen, weil sie glauben, dass hier die Künstler übernachten. Im Januar 2008 veranstaltete Bear Stearns in den Räumen des Hotels eine Konferenz für britische und amerikanische Hedgefonds-Manager, um zu sehen, wie viel Geld sich mit Wetten auf die isländische Pleite verdienen ließe. Es war eine Menge. Früher war das Hotel ausgebucht, bei meiner Ankunft sind nur 6 seiner 38 Zimmer belegt. Das Restaurant ist leer, genau wie die Tischchen in den eleganten Nischen, in denen Finanziers aus aller Welt einst ihre geheimnisvollen Gespräche führten. Ein bankrottes Holiday Inn ist traurig, aber ein bankrottes Designhotel ist tragisch.
|28| Da die Banker, die einst viel Geld für eine Übernachtung hinblätterten, ein für allemal verschwunden sind, bekomme ich ein großes Zimmer im Obergeschoss mit Blick auf die Altstadt zum halben Preis. Ich kuschele mich in die weiße Seidenbettwäsche und öffne ein Buch über die isländische Wirtschaft. Das Buch erschien im Jahr 1995, lange vor der Spekulationsblase, als die Wirtschaft des Landes noch überwiegend auf dem Fischfang basierte. Dort stolpere ich über einen bemerkenswerten Satz: »Isländer stehen der kapitalistischen Marktwirtschaft eher skeptisch gegenüber, vor allem in der Frage der Verteilung des Wohlstands.«
An dieser Stelle werde ich von alarmierenden Geräuschen aus meiner Lektüre gerissen.
Zuerst hämmert ein Bettgestell gegen die andere Seite der Wand, gefolgt von lautem Stöhnen und spitzen Schreien. Offenbar ist das Paar aus dem Nachbarzimmer angekommen. Die Geräusche werden immer lauter, aber obwohl ich sie deutlich höre, verstehe ich kein Wort. Da es mir schwerfällt, mich auf die isländische Fischereiwirtschaft zu konzentrieren, versuche ich die Laute nachzuahmen, die durch die Wand dringen. Meine Zunge verknotet sich in mir vorher unbekannten Stellungen. Die Laute erinnern mich irgendwie an die Hobbits aus dem
Herrn der Ringe
:
Gollum, Gollum! Mordor, Mordor!
So also klingt Isländisch.
Wenig später höre ich ein Fauchen von der anderen Seite des Zimmers und springe aus dem Bett, um nachzusehen. Es ist die Heizung, die klingt wie ein Teekessel, der zu lange auf dem Herd stand und sich kurz vor der Explosion befindet. Auf Island funktioniert die Heizung etwas anders als anderswo, denn das heiße Wasser kommt direkt aus der Erde. Aber das Wasser ist nicht einfach nur heiß, es kocht. Wenn die |29| städtischen Wasserwerke bei Reparaturarbeiten die Kaltwasserzufuhr abstellen müssen, mit der das Leitungswasser auf Gebrauchstemperatur heruntergekühlt wird, kann es schon mal vorkommen, dass irgendwo ein nichtsahnender Isländer in seiner heimischen Dusche gekocht wird. Das Wasser, das aus der Erde in mein Zimmer geleitet wird, ist derart heiß, dass ich in meinem Hotelzimmer gargekocht würde, wenn es nicht von einer zischenden, ratternden Maschine abgekühlt würde.
Schließlich höre ich draußen eine Explosion.
Bumm!
Und noch eine.
Bumm!
***
Da es Mitte Dezember ist, erscheint die Sonne um 10:50 über dem Horizont und verabschiedet sich um 15:44 schon wieder. Das ist zwar einerseits besser als gar kein Tageslicht, andererseits aber auch wieder nicht, denn man gibt sich für ein paar Stunden der Illusion hin, dass man so etwas wie ein normales Leben führen könne. Aber wenn Island eines ist, dann sicher nicht normal. Das bestätigt sich, als ich einen 26-jährigen Isländer anrufe, den ich Magnus Olafsson nennen will. Noch vor wenigen Wochen arbeitete Magnus als Devisenhändler für eine der drei Banken und strich ein Jahresgehalt von fast einer Dreiviertelmillion Euro ein. Olafsson ist groß, hellblond, attraktiv und sieht genau so aus, wie man sich einen Nachfahren der Wikinger vorstellen würde – das heißt, er hat kaum Ähnlichkeit mit den meisten seiner Landsleute, denn die sind gedrungen und bestenfalls aschblond.
»Meine Mutter hat so viele Dosen gehortet, dass sie einen |30| Laden damit aufmachen könnte«, erzählt er mir. Seit dem Crash sei die Stimmung in Reykjavík angespannt.
Zwei Monate zuvor, als die Isländische Krone ins Bodenlose fiel, habe er sich aus seinem Büro zu einem der Schalter in der Halle geschlichen, so viel ausländisches Bargeld abgehoben, wie ihm die Kassiererin aushändigen durfte, und das Geld in eine Plastiktüte
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