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Bordeuax

Bordeuax

Titel: Bordeuax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Torday
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Zum
Schämen ist es zu spät.«
    »Ich weiß«, sagte ich. »Vielen
Dank.«
    »Du würdest für mich das Gleiche
tun, Wilberforce, oder nicht?«, fragte sie und kam näher.
    »Ja«, sagte ich.
    »Dann tu es jetzt.«
     
    2002
     
    1
     
    Als ich Francis' Laden zum ersten
Mal betrat, bekam ich die Gruft gar nicht zu sehen.
    Getrieben von einer seltenen
Unbeschwertheit, dem unerklärlichen Impuls, mal zu erkunden, was sich jenseits
des Tals verbarg, in dem ich so lange gearbeitet hatte, war ich über die
Shopping Mall hinaus den Berg hinaufgefahren und hatte Caerlyon entdeckt.
Vielleicht war es das besondere Licht, eine Andeutung in den Farben des
abendlichen Frühlingshimmels, ein Hinweis auf ein unentdecktes Land. Ich fuhr
den Hang hinauf und gelangte schließlich zu dem Haus und sah das Schild, das
jemand am Rand der ruhigen kleinen Landstraße aufgestellt hatte. Es lud
Vorbeifahrende, die sich für gute Bordeauxweine interessierten, ein, den Laden
im Hof zu besuchen. Wer immer das Schild hatte anfertigen und dort aufstellen
lassen, litt auf jeden Fall unter übertriebenem Optimismus, oder Pessimismus,
oder beidem.
    Ich fuhr in einen mit
Kopfsteinpflaster ausgelegten Hof, in dem drei Autos parkten, ging zum Laden,
öffnete die Eingangstür und trat ein. Vor mir stand ein großer Schreibtisch,
dahinter ein Mann, der die Füße hochgelegt hatte und sich in seinem Drehstuhl
zurücklehnte; ihm gegenüber, mit dem Rücken zu mir, saßen zwei junge Männer.
Alle drei schwenkten eine trübe Flüssigkeit in Gläsern und taten so, als würden
sie den Inhalt kennerhaft beriechen. Hinter dem Schreibtisch führte eine
breite, uralte Steintreppe in eine verborgene Finsternis. Den Rest des Raums
füllten Weinkisten aus Holz, darin, einzeln oder paarweise, Flaschen. Die Wände
säumten Regale, in denen noch mehr glänzende Flaschen lagerten. Auf dem Boden
stand eine halbleere Flasche Weißwein.
    Beim Betreten läutete ein Glöckchen
über der Tür, der Mann mit den Füßen auf dem Schreibtisch schaute auf, die
anderen beiden drehten sich zu mir um; sie wollten sehen, wer denn da hereingeschneit
war. Ein kleiner brauner Spaniel, der in einem Korb hinterm Schreibtisch
gelegen hatte, kam angetrottet und beschnüffelte mein Hosenbein. Einer der
beiden anderen Männer, rotblondes Haar und Stirnglatze, rote Backen und blaue
Augen, sagte: »Du lieber Himmel! Ein Kunde! Es geht aufwärts, Francis.«
    Ich hatte den Eindruck, als wäre ich
in eine intime Runde eingedrungen.
    »Entschuldigung«, sagte ich. »Ich
wollte nicht stören. Ich wollte mich nur mal umsehen.«
    Der Mann hinter dem Schreibtisch
nahm mit Schwung die Füße vom Tisch und stand auf. Er war sehr groß und dünn,
ich schätzte ihn auf weit über sechzig. Er trug eine ausgebeulte graue Strickjacke,
an den Ellbogen etwas durchgescheuert, und eine sehr alte beige Cordhose. Sein
Gesicht war traurig und hübsch, mit Säcken unter den braunen Augen und
gewölbten Brauen. Das schwarze Haar, von weißen Strähnen durchsetzt, war stramm
aus der Stirn nach hinten gekämmt. Die Kleidung war zwar abgenutzt und schäbig,
aber er trug sie mit unbeschreiblicher Eleganz.
    »Kommen Sie nur, kommen Sie nur
herein«, sagte er, und zu dem Hund gewandt: »Platz, Campbell, Platz!
Selbstverständlich haben wir geöffnet, und Sie sind herzlich willkommen. Bring
doch dem Gentleman einen Stuhl, Eck.«
    Der Rotblonde schleppte einen
weiteren Stuhl an den Schreibtisch. Der dritte Mann, der sitzen geblieben war,
erhob sich jetzt auch und stellte sich vor: »Guten Tag«, sagte er. »Ed Simmonds.«
    Ed Simmonds war ebenfalls sehr groß,
aber wesentlich jünger als der Mann hinterm Schreibtisch. Seinen Kopf bedeckte
ein Wust zerzauster blonder Locken, die in alle Richtungen abstanden, sein
Gesicht war freundlich und offen.
    »Wilberforce«, sagte ich.
    Wir gaben uns die Hand. Ed drehte
sich um und wies mit einer Handbewegung auf den älteren Mann. »Das ist Francis
Black, der Besitzer dieses Weinladens. Und der Mann, der noch mit dem Stuhl
kämpft, ist Hector Chetwode-Talbot. Bei uns heißt er nur Eck.«
    »Angenehm«, sagte ich. »Aber ich
habe das Gefühl, als würde ich stören.«
    »Dann liegt das ganz allein an uns«,
sagte Francis Black. Er holte ein langstieliges Glas hervor, wie ein Zauberer,
der ein Kaninchen aus dem Hut zieht, und langte nach unten zu der Weinflasche
auf dem Boden. Er goss mir etwas ein und reichte mir das Glas.
    »Wir probieren einen Condrieu, den
ich gerade hereinbekommen

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