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Bordeuax

Bordeuax

Titel: Bordeuax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Torday
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unangenehme Gefühl, ihn im Stich zu lassen.
    Ich guckte nach oben und sah Licht
in seinem Büro brennen, so wie in einem halben Dutzend anderer Räume auch.
Andys Kollegen verließen ihren Arbeitsplatz nicht gerne vor ihrem Chef. Jedes
Mal zögerte ich, wäre beinahe umgekehrt und hätte noch eine Stunde länger
gemacht. Dann jedoch erreichte mich irgendein süßlicher Duft aus den Bergen im
Westen, jedenfalls in meiner Fantasie, und ich stieg in meinen Range Rover,
ließ das Büro hinter mir und suchte die kleine Straße, die sich über dem Tal
am Hang hinaufschlängelte, raus aus dem städtischen Ballungsraum, zum
Hochmoor, an dessen Rand sich Caerlyon befand.
    An diesem Abend hatte ich Francis
versprochen, an einer Weinverkostung teilzunehmen, zu der er eingeladen hatte.
Eigentlich brauchte ich keine extra Einladung. Ich kam öfter einfach nur so
vorbei, erwartet oder unerwartet, und er schien sich immer darüber zu freuen.
Als ich das letzte Mal in seinem Laden war, hatte er gesagt: »Du musst
unbedingt Donnerstagabend kommen, Wilberforce. Ich mache eine Weinverkostung.
Nichts Besonderes, das sich wirklich lohnt zu probieren, aber ich muss endlich
mal ein paar Kisten verkaufen, damit ich meine Rechnungen bezahlen kann. Es
wird ein Haufen Leute da sein, die billigen Fusel saufen und sich ein paar
Stunden brüllend laut unterhalten. Es wäre mir ein Trost, wenn ich wüsste, dass
du kommst. Wenn wir die anderen losgeworden sind, machen wir eine anständige
Flasche auf. Trink bloß um Himmels willen keinen von den Weinen, die ich zum
Verkosten ausschenke.«
    Als ich die Einladung annahm, hatte
ich mich gefragt, ob Ed und Catherine auch da sein würden.
    Ich spürte die übliche
Erleichterung, als ich über die kleine Serpentinenstraße den Talschluss
hinauffuhr und die Lichter der modernen Welt hinter mir ließ. Es war Februar,
und am Horizont schimmerte immer noch eine winterliche Helligkeit. Während ich
mich dem großen, verwinkelten Haus aus grauem Stein näherte, wuchs sich das
Gefühl der Befreiung, das mich immer überkam, wenn ich diese Straße
entlangfuhr, zu einer wahren Hochstimmung aus. Caerlyon war für mich wie eine geheime
Welt, zu der ich den Schlüssel bekommen hatte. Ich erzählte niemandem davon,
nicht meinen Pflegeeltern, nicht einmal Andy. Es war eine Welt, die ich mit
niemand anderem teilen wollte: Francis, die Freunde von Francis, von denen
einige auch meine Freunde waren, und Francis' Wein.
    Als ich in die schmale Zufahrt
einbog, die zum Innenhof auf der Rückseite des Hauses führte, wo Francis seinen
Laden hatte und sich der Haupteingang zu der Gruft befand, sah ich sofort, dass
ich keinen Parkplatz mehr in der Nähe des Hauses finden würde. Der Innenhof war
bereits vollgestellt, und zwei oder drei Autos standen schon auf dem begrünten
Seitenstreifen der Zufahrt. Ich stellte meinen Range Rover hinter einen alten
Bentley und ging den Rest zu Fuß, vorbei an einem Aston Martin und einem
Ferrari und schließlich an den Autos, die solchen Freunden von Francis gehörten,
die viel Land, aber kein Geld besaßen: einem uralten Subaru mit einer Rolle
Maschendraht auf dem Rücksitz; einem Fahrzeug, das wie der erste Prototyp des
Land Rover Discovery aussah, über und über mit Dreck bespritzt, so dass es fast
nicht zu erkennen war; und einem Morris Traveller mit Holzkarosserie, der ganze
Stolz des Earl of Shildon, einem der imposanteren Freunde von Francis.
    In dem Laden herrschte lautes
Stimmengewirr und dichtes Gedränge, Männer in dunklen Anzügen oder
Tweedsachen, nur wenige Frauen. Catherine erkannte ich auf der Stelle, Ed
dagegen konnte ich in der Schar der Gäste nicht ausmachen. In der Mitte des
Raums war ein Tisch auf Böcken aufgestellt, darauf offene Weinflaschen,
nummeriert, davor Zettel mit Geschmacksnoten, Reihen von Gläsern, Spucknäpfe
und Teller mit Käsehäppchen.
    »Danke dir, mein Junge«, murmelte
mir Francis ins Ohr. Ich drehte mich um und begrüßte ihn. Er war noch dünner
als sonst, was ihn irgendwie größer machte. Er trug eine Strickjacke über einem
Karohemd mit offenem Kragen und Cordhose. Die Kleider hingen förmlich an ihm
herab. Obwohl er, außer mir, der einzige Mensch im ganzen Raum war, der keine
Krawatte umgebunden hatte, wirkte er eleganter und selbstbewusster als alle
anderen. Sein sonst gebräuntes Gesicht war blass. Schon die Male davor hatte
Francis immer etwas kränklich ausgesehen.
    »Geht es dir gut?«, fragte ich ihn
und bückte mich, um Campbell,

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