Bordeuax
Ben sich ausgedrückt hatte, ein Abstellplatz für die
unverkäuflichen Restposten aus Dutzenden von Kneipen und Restaurants.
Dann allmählich nahm das Bild
schärfere Konturen an, und ich sah, was der Keller in Wahrheit war: eine
Zauberhöhle, voller Energie und Glanz. Die Lichter spiegelten sich auf den
unendlich vielen Flaschen, die die Wände der Gewölberäume säumten. Die kleinen
Stapel unregelmäßig aufeinandergeschichteter Holzkisten mit Wein wurden zu
Säulen und Türmen, ein unterirdisch wieder aufgebautes Manhattan, mit Straßen,
die man entlangspazieren konnte, einer Pomerol-Allee, einer Margaux-, Saint-Emilion-
und Saint-Julien-Allee.
Ich schaute auf die Bestandsliste,
die ich mitgebracht hatte. Eins war klar - hier lagerte bei weitem mehr Wein,
als auf der Liste stand. Die Mühe, alle Flaschen zu zählen, konnte ich mir
sparen. Das war von hier aus zu erkennen. Der Mann hatte sich vertan, mehr gab
es dazu nicht zu sagen.
Ich ging an den Regalen an der
Südmauer des Kellers entlang und verglich den Inhalt mit der Bestandsliste. Ich
hatte mir die Liste während der Zugfahrt hierher durchgelesen, danach sollten
hier irgendwo einige Flaschen 79er Château Talbot lagern. Ich fand die letzten
beiden und dachte nur: Na gut, wenigstens in einem hatte unser Masterchen of
Wine Ben Ingledew recht. Ich beschloss, die beiden Flaschen mit nach oben zu
nehmen.
Ich stellte die Flaschen auf den
Schreibtisch. Eigentlich wusste ich gar nicht, warum ich sie aus dem Regal
genommen hatte. Ich setzte mich auf meinen Platz, gegenüber dem Stuhl, in dem
Francis sonst immer gesessen hatte, und dachte nach. Francis konnte ich hier nicht
mehr erspüren, das war mit jedem Mal, wenn ich nach Caerlyon zurückgekehrt war,
schwächer geworden. Als ich die Gruft zum ersten Mal wieder betreten hatte,
hatte ich noch das Gefühl, als wollte mir Francis sagen, was ich zu tun hätte,
als geleitete er mich auf allen meinen Wegen. Beinahe konnte ich ihn vor mir
sehen. Schon aus Anstand setzte ich mich nie auf seinen Platz, für den Fall,
dass er ihn noch mal benutzen wollte. Aber er war weg - für immer -, und alle
Entscheidungen lagen jetzt bei mir.
Die erste Entscheidung, die ich
treffen musste, betraf die Frage, ob ich den Wein versteigern lassen sollte
oder nicht. Auf jeden Fall würde ich ihn nicht zu dem Mindestpreis herausgeben,
den Christie's mir geboten hatte. Ein Scheck über 30 000 Pfund als Gegenleistung
für eine Investition von einer Million, getätigt vor ein, zwei Jahren - allein
der Gedanke war mir unerträglich.
Ich beschloss, die Sache einige
Monate ruhen zu lassen und dann jemand anderen zu bestellen, der den Bestand
sichten sollte. Wahrscheinlich würde er allein durch den Zeitgewinn im Wert
steigen.
Damit war gleichzeitig ein anderes
Problem gelöst. Solange der Wein nicht verkauft war, hatte es auch keinen Sinn,
Caerlyon zu verkaufen. Ich hätte den Wein woanders unterbringen müssen, und wenn
irgendetwas seinen Wert mildern würde, dann wäre es eine Verlagerung. Natürlich
war mir klar, dass ich Caerlyon verkaufen musste, eher früher als später, aber
ein halbes Jahr machte jetzt auch nicht mehr viel aus. Ich würde den Makler
beauftragen, den Wein und das Haus in einem halben Jahr neu taxieren zu lassen,
durch andere Gutachter, und dann sehen, zu was für einem Ergebnis sie kommen
würden, verglichen mit den ersten Schätzungen.
Ich sah die beiden Flaschen Château
Talbot an, und ohne recht zu überlegen - sondern vielmehr zu überlegen, ob sich
wohl alte Rechnungen für den Wein finden würden, aus denen hervorginge, wie
viel Francis dafür gezahlt hatte und wo er ihn gekauft hatte -, ging ich zum
Schreibtisch und öffnete eine der Flaschen. Es geschah automatisch. Ich hatte
ganz einfach das Gefühl, dass der Wein erst noch atmen musste.
Von unten spürte ich die vertrauten
Funkwellen in meinem Blut vibrieren, mir etwas vorsingen. Von irgendwo her in
meinem Gedächtnis hörte ich flüsternd aufgesagt die Namen der Weine: Bellevue
Mondotte, Yon-Figeac, La Chapelle de la Mission Haut-Brion. Jeder Name war ein
Gedicht, das sonnige Tage heraufbeschwor, das Lachen von Freunden, die Liebe
von Frau und Familie. Ich dachte an Catherine, die zu mir gesagt hatte, noch nicht
lange her, nachdem sie tot war: »Du musst dich entscheiden. Für mich oder für
den Wein.«
Vor ein, zwei Monaten, als sie noch
lebte und wir zusammen in Paris waren, hatte sie etwas ganz Ähnliches gesagt.
Damals hatte ich ihr geantwortet:
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