Bordeuax
»Ich habe mich schon entschieden. Für dich.«
Aber so einfach ist das Leben nicht. Entscheidungen sind nicht so klar und
eindeutig, wie wir es gerne hätten. Das wirkliche Leben ist komplizierter, als
man sich vorstellt. Gelegentlich erfordert es Kompromisse.
Ich goss mir ein Glas Château Talbot
ein und schwenkte den Kelch, damit sich das Bukett richtig entfalten konnte. Es
war ein alter Wein, aber immer noch trinkbar. Ich hob den Kelch und trank einen
Schluck. Dann sagte ich laut und vernehmlich: »Ich habe mich für dich entschieden,
Catherine. Und für den Wein.«
2003
1
In dem Winter gewöhnte ich mir an,
mindestens zweimal die Woche früher Feierabend zu machen. Ich verließ das Gewerbegebiet
und fuhr durch das Tal hinauf nach Caerlyon. Wenn ich um sechs Uhr aus dem Büro
ging statt um acht, stand häufig noch ein gutes Dutzend Fahrzeuge auf dem
Parkplatz vor dem Gebäude: Programmierer, die Überstunden machten, die so hart
arbeiteten, wie ich früher gearbeitet hatte. Ein schlechtes Gewissen hatte ich
nicht. Fünfzehn Jahre lang hatte ich in diesem Stil gearbeitet, und wenn ich
nicht in diesem Stil gearbeitet hätte, wäre unsere Firma von einem der
zahlreichen Konkurrenten überrollt worden, und die Kunden hätten uns nicht die
Treue gehalten. Denn in einem Punkt waren wir gut: Termine einhalten, egal wie
sehr unser Privatleben darunter litt und die wenige Freizeit, die wir uns
gönnten. Ich arbeitete in dem Stil, weil mich zu Hause nichts Besonderes erwartete.
Wenn ich Andys Auto auf dem
Parkplatz neben meinem stehen sah, beschlich mich manchmal ein ungutes Gefühl.
Andy war die erste Person, die ich angestellt hatte, als Buchhalter. In den
ersten Jahren unserer Firma arbeitete er ein paar Stunden in der Woche für
mich. Er war so alt wie ich; als wir uns kennenlernten, waren wir beide
zweiundzwanzig. Er war Wirtschaftsprüfer in einem örtlichen Steuerbüro. So wie
ich war auch er mit sechzehn von der Schule gegangen, hatte mit zweiundzwanzig
schon seine Ausbildung abgeschlossen und verdiente, was die meisten in unserem
Alter als ausgezeichnetes Gehalt betrachtet hätten. Aber er wollte mehr. Nach
zwei Jahren fragte ich ihn, ob er mir einen Tag in der Woche zur Verfügung
stehen könnte. Nach drei Jahren fragte ich ihn, ob er nicht in meine Firma
eintreten wolle, denn mittlerweile hatte ich längst erkannt, dass er sehr viel
mehr konnte, als mit Zahlen umge hen. Er konnte auch besser mit Leuten umgehen als ich. Es machte ihm
nichts aus, mit Kunden essen zu gehen oder sie zu einem Fußballspiel ins
St.-James-Park-Stadion einzuladen. Mir machte es was aus. Ich ärgerte mich über
die vergeudete Zeit, die mich von meinem Computer abhielt; und ich konnte es
nicht ausstehen, im Pub zum Biertrinken genötigt zu werden - damals mochte ich
auch noch keinen Wein -, mit der Aussicht, anschließend um zehn Uhr abends
wieder ins Büro zurückzukehren. Der Gedanke, müde und mit dickem Kopf am
Schreibtisch zu sitzen und für einen Kunden ein Angebot zu erstellen, die
richtigen Worte finden zu müssen und die richtigen Zahlen zusammenzurechnen,
das war mir verhasst. Andy entlastete mich von diesem Problem. Er war derjenige
von uns beiden, der am besten mit Kunden umgehen konnte; er ermunterte mich,
mehr Personal einzustellen; er achtete darauf, dass wir richtige
Arbeitsverträge hatten und unseren Leuten genug zahlten, damit sie bei uns
blieben. Er führte die Lohnverhandlungen, er kannte die zahlreichen
Bestimmungen, achtete darauf, dass sie eingehalten wurden, aber vor allem
hielt er das Geld zusammen. Er verfolgte genau, wohin jeder Penny floss, und er
konnte Kalkulationen erstellen. Alle drei, vier Monate hofierte er die Banker
und lud sie zu den Spielen von Newcastle United ein. Wurde es mal knapp - wenn
wir zum Beispiel mal einige zehntausend Pfund infolge eines faulen Kredits
verloren hatten, was in den Anfangsjahren einige Male passierte -, zahlten
sich diese Abende mit den Bankern aus. Sie hielten uns die Stange. Sie glaubten
an Andy und verstanden ihn. Mich verstanden sie nicht, aber solange Andy da
war, der ihnen alles erklären konnte, unterstützten sie uns, in guten wie in
schlechten Zeiten.
Andy zu bitten, ganz bei mir
einzusteigen, war die beste Entscheidung, die ich je getroffen habe.
Eigentlich war es gar keine bewusste Entscheidung, in Wahrheit hatte ich keine
fünf Minuten darüber nachgedacht. Ich glaube, sie hatte sich schon länger angebahnt,
und als ich ihn schließlich
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