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Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition)

Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition)

Titel: Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Meyer zu Kueingdorf , Michel Ruge
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blieben stehen, beobachten uns. Wir hatten Hunderte von Zuschauern. Der DJ legte ein Liebeslied auf. Ein Liebeslied und diese Horde Halbstarker. Großartig! Wir hielten uns für smart und cool, wir konnten uns selbst ein Liebeslied leisten, sogar kurz vor dem Kampf.
    Die Red Tampons wussten längst, dass wir auf dem Weg zu ihnen waren. Als wir die Eggerstedtstraße erreichten, wagte sich kein Mensch mehr vor die Tür. Die Eckkneipe hatte die Schotten dicht gemacht. Die Leute schauten ängstlich von ihren Balkons auf uns hinunter. Keine Polizei weit und breit. Es war gespenstisch.
    Plötzlich tauchte ein Typ auf, vor uns, etwa fünfzig Meter entfernt. Blitzschnell setzten wir uns in Bewegung, verfolgten ihn. Keiner wusste, ob es einer der Red Tampons war. Aber jeder, der sich noch auf die Straße traute, war für uns verdächtig. Als er sechzig Halbstarke auf sich zu rennen sah, hielt er das wohl für einen Traum, denn er machte keinen Schritt. Wir umstellten ihn. Ümet nahm ihn sich vor. »Gehörst du zu den Red Tampons?« Der Kleine zitterte und brachte fast kein Wort raus. »Nee. Nee. Echt nicht. Ich kenn die nicht. Ich wohn nur hier.« Er hatte Glück. »Alles klar«, raunte Ümet. »Mach die Fliege.« Der Kleine rannte los und verschwand in einem Hauseingang. Nun standen wir wieder da. Kein Red Tampon war zu sehen. Ich hoffte schon, dass meine Mutprobe ausfallen würde. Doch ich hatte mich zu früh gefreut. »Ich weiß, wo der Typ wohnt. Da vorn«, rief Mehmet. »Lass uns dahin. Dann macht Michel ihn fertig.« – »Okay«, murmelte ich. Mehr konnte ich nicht sagen. Die Musik hatte nun keine Wirkung mehr auf mich. Das Gefühl, unbesiegbar zu sein, war verschwunden. Ich fühlte mich schwach, hilflos, allein.
    Wir marschierten auf das Haus zu. »Der Typ wohnt im Erdgeschoss«, rief Mehmet uns zu. »Los«, befahl Ümet. Ich wusste, was zu tun war. Ich klingelte. Nichts. Mein Puls raste. Ich hörte Schritte, das Knacken des Türschlosses. Leise murmelnd wiederholte ich immer wieder die Worte, die ich mir zurechtgelegt hatte: »Wer einen Breaker beleidigt, muss bestraft werden.« Das klang nach Kino, und es passte zu dem, was gleich passieren sollte. Die Tür ging auf, und eine Frau stand vor mir, Mitte dreißig etwa. Ängstlich sah sie in die grimmigen Gesichter der neunundfünfzig Mann in Bomberjacken, die vor ihr standen. Ich aber stand mit offenem Mund vor der Frau, die nur ein vorsichtiges »Äh! Ja?« herausbekam. »Wo ist Marco?« Ümet war die Treppe hinaufgestiegen und sah die verängstigte Frau direkt an. Er hatte keinen Respekt vor ihr. Keinen Respekt vor Älteren, so wie ich ihn gelernt hatte. »Er ist nicht da«, flüsterte sie. Ich war erleichtert. Die Frau hatte Angst, ganz offensichtlich. Sechzig Mann, die vor ihrer Wohnung standen und es auf ihren Sohn abgesehen hatten. Da musste es jede Mutter mit der Angst zu tun bekommen.
    »Da vorn«, schrie plötzlich jemand. Am Ende der Straße standen sieben Jungs, die sofort versuchten abzuhauen. Wir liefen los. Hoffentlich sind die schneller, dachte ich nur. Doch die Schnellsten von uns hatten sie bald eingeholt. Sofort kesselten wir sie ein. »Ah, der Marco«, raunte Ümet in Richtung eines blonden, großgewachsenen Jungen. Der schwieg. Aber einer der Red Tampons zog gleich sein T-Shirt aus und präsentierte kampfbereit seine Fäuste. Der war offensichtlich komplett wahnsinnig. Wollte er es mit sechzig Mann aufnehmen? Das imponierte mir. Das war Mut im Angesicht des sicheren Todes. Aber es half ihm nichts. Erst bekam er von hinten einen Schlag in den Nacken, und als er am Boden lag, gab es Tritte. Alle lachten. Doch das war nicht die Art zu kämpfen, wie ich es mir vorstellte. Ümet knallte dem Typen noch ordentlich einen vor den Latz. »Halt’s Maul, du Penner!« Plötzlich war sie wieder da, diese Stille. Dann drehte sich Ümet zu mir: »Nun du, Michel!« Alle Blicke lagen auf mir. Auch Marco schaute mich an. Er machte nicht den Eindruck, als sei er auf eine Schlägerei aus. Er wusste, dass alles gegen ihn sprach. Selbst wenn er gegen mich eine Chance sah, blieben noch immer die anderen neunundfünfzig Breakers. Aber ganz ohne Gegenwehr würde er sich nicht ergeben, das sah man ihm an.
    Ich baute mich vor Marco auf und verpasste ihm einen Kick gegen den Bauch. Er taumelte kurz, schnappte nach Luft. Er schien sich nicht wehren zu wollen. Er stand einfach nur da. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich hatte noch nie jemandem mit der Faust ins Gesicht

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