Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition)
welche von beiden mir besser gefiel, hatte sich Kemal Sandra geschnappt und war mit ihr im Schlafzimmer der Eltern verschwunden. Ich setzte mich neben Ulrike aufs Sofa. Wir schwiegen. Ulrike bot mir ein Glas Wein an. »Nein danke. Ich bin Kung-Fu-Kämpfer!«, sagte ich stolz. Das war die Wahrheit. Ich war Kämpfer, trainierte wie ein Verrückter, und Alkohol lehnte ich ab, wie sich das für einen Kämpfer gehörte. Wir schwiegen weiter und blickten uns an. Langweilig. Ich entschied, in die Offensive zu gehen. Ich küsste sie. Sofort schob Ulrike mir ihre warme, feuchte Mädchenzunge in den Mund und ließ sie kreisen. Wir knutschten zehn Minuten lang. Mir ging nur eines durch den Kopf: »Ich bin bereit. Ich bin bereit. Ich werde mit ihr schlafen, ich werde endlich mit einem Mädchen schlafen. Der Moment ist da. Ich mach das. Ich schaff das. Halleluja!«
Ulrike dachte wohl dasselbe. Denn sie stand auf und begann sich auszuziehen. Ich starrte sie an. Sie hatte keine so schöne Figur wie meine Cousine. Auch ihre Haut war nicht so samtweich. Aber sie war willig. Wir knutschten wieder. Allerdings schien irgendetwas in mir nicht sonderlich beeindruckt von Ulrike und der Knutscherei zu sein. Denn mein Schwanz verweigerte sich. Er wollte nicht steif werden. Das versuchte ich sofort zu ignorieren. Wie ein hungriges Baby hing ich an ihren Lippen, bis sich die Tatsache, dass ich keinen Steifen hatte, ganz laut in meinem Schädel bemerkbar machte. Michel! Du hast keinen Steifen. Wie kommst du aus der Nummer wieder raus? Plötzlich war ich ganz klar im Kopf, und meine Leidenschaft kam mir gespielt und absurd vor. Wenn die Leidenschaft nicht zu einem Steifen führt, was ist das dann für eine Leidenschaft? Ulrike war schon nackt, ich war noch in voller Montur. Ich wollte einfach nicht, dass sie meinen schlaffen Schwanz sah. Was wäre das für eine Blamage gewesen! Was für eine Erniedrigung! Ich entschied mich für den Rückzug. »Äh. Ich geh mal kurz aufs Klo, nech?«, flüsterte ich ihr zu. Sie nickte. Auf dem Klo schloss ich mich ein. Ich blickte in den Spiegel. Panik stand mir im Gesicht. Ich war blass. Kalter Schweiß tropfte mir von der Stirn. Aller, ging es mir durch den Kopf. Aller, bissu doch schwul? Bidde nich. Bidde nich. Ich zog meine Hose runter. Mein Schwanz bot einen erbärmlichen Anblick. Wie ein nasser Waschlappen hing er da. Schlaff, klein und traurig. Wo war nur die Latte hin, die ich ständig durch die Gegend trug? Mein Schwanz. Jetzt, wo er gebraucht wurde, versagte er. »Na, warte. Dir zeig ich’s!« Ich nahm ihn in die rechte Hand und drückte zu, fast als wollte ich ihn würgen. »Wenn du jetzt nicht machst, was ich will, dann …«, knirschte es zwischen meinen Zähnen hervor. Oh, mein Gott. Jetzt sprach ich schon mit meinem Schwanz. Und ich würgte ihn. Ich rieb ihn. Ich schüttelte ihn. Ich zog an ihm, zerrte. »Aller, bitte! Lass mich nicht allein! Nicht jetzt!! Du Arschloch! Du Wichser!« Es nützte nichts, er blieb leblos. Stur und schlaff. Passiven Widerstand nennt man so etwas im politischen Jargon.
Enttäuscht gab ich auf, zog die Hose hoch, schloss die Tür auf und ging mit zitternden Knien ins Wohnzimmer. Ulrike hatte sich schon wieder angezogen. »Kemal und Sandra sind unten«, sagte sie. »Wollen wir zu ihnen?« – »Gut«, nickte ich. Es schien so, als hätte sie fast schon wieder alles vergessen. Zumindest aber hatte sie Taktgefühl.
Obwohl ich bald wieder eine Dauerlatte hatte, so als wollte mein Schwanz sich lustig über mich machen, fühlte ich mich in den nächsten Tagen als Versager. Mein Schwanz schien Krieg gegen meinen Kopf und den restlichen Körper zu führen. Vor allem aber hatte er es geschafft, dass ich nun mit der Angst leben musste, vielleicht schwul zu sein. Die einzige angemessene Antwort darauf schien eine totalitäre Diktatur meines Kopfes zu sein. Mein Körper sollte nur einem gehorchen, mir, seinem Diktator! Ich würde ihn unterjochen. Ich trainierte noch härter.
Statt in die Schule zu gehen, spazierte ich auf St. Pauli herum, wo ich »Catcher Mike« traf. Seinen Namen verdankte er seiner Mutter, einer bekannte Show-Catcherin auf dem Kiez. Mikes Familie war irgendwie anders. Sein Vater war wohl auch sein Opa oder sein Onkel. So genau schien das niemand zu wissen. Jedenfalls war Catcher Mike ein guter Typ, und er war mein Freund. Er sah aus wie ein riesiger, blonder Wikinger – mit lustigen Pausbacken.
»Hier, guck ma. Hab ich meiner Muddä geklaut.« In seiner
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