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Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition)

Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition)

Titel: Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Meyer zu Kueingdorf , Michel Ruge
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»Okay. Wir fahren zurück«, hieß es schließlich.
    Durch die Langeweile und die Enttäuschung über die entgangene Schlacht kam es zu kleineren Rangeleien zwischen den Gangs. »Ihr habt nicht so gute Kämpfer wie wir!« – »Wir haben euch damals ganz schön was aufs Maul gegeben!« Der gemeinsame Gegner war verschwunden – und mit ihm unsere flüchtige Einheit.
    Beim Abschied wünschten sich einige Pech und Schwefel an den Hals. Wir Breakers liefen mit den Panthers zum Jugendheim. Sofort gab es Streit. Es ging um ein dämliches Fahrrad, das einem Panther gehörte. Vor dem Jugendheim hatte es jemand auseinandergenommen. Die Panthers beschuldigten uns. »Ihr könnt ja versuchen, uns zu zeigen, ob ihr die besseren Kämpfer seid«, rief ihr Anführer. Es war schon komisch. Von einer Sekunde zur anderen waren die Nazis vergessen und alles so wie immer. Streit und Stress folgten auf Streit und Stress.
    Von Kampf zu Kampf wurden wir rabiater, unsere ursprünglich romantischen Ideale gerieten ins Wanken – wir selbst gerieten ins Wanken. Wer weiß, was passiert wäre, wenn wir an diesem Tag die Nazis doch erwischt hätten. Aber heute denke ich, auch das hätte kein gutes Ende genommen.

15 Heißkalt!
    A uch Fritz und ich stachelten uns zu immer neuen und waghalsigeren Mutproben und Aktionen an. Wir träumten davon, irgendetwas zu tun, was noch nie jemand getan hatte. Wir wollten alle Mauern um uns herum niederreißen und die große, weite Welt erleben. Zumindest stellten wir uns das so vor: Wir erobern St. Pauli, denn das war die ganze Welt, die wir kannten. Unsere Träume waren groß, aber unser Horizont war beschränkt.
    Für Fritz und seinen Cousin Boris war ich der verwegene, coole Typ aus dem verruchten St. Pauli. Sie selbst kamen aus recht behüteten Verhältnissen. Das, wovon sie romantisch verklärt manchmal träumten, das war für mich oft genug bitterer Alltag. Wir waren Halbstarke, die sich ständig voreinander beweisen mussten und den anderen herausforderten. An jenem Tag, von dem ich erzählen will, war ich mal wieder an der Reihe.
    Ich kannte einen Klempner, der ab und zu im Budapester Hof zur Reparatur der Sanitäranlagen gerufen wurde. Er wohnte nur ein paar Straßen vom Hotel entfernt. Er war schwul und machte mir immer wieder schöne Augen, was meine Alarmglocken schon lange hatte läuten lassen. Der Typ schien aber außerdem Geld zu haben. An den Fingern trug er Ringe mit Diamanten, um den Hals und an den Handgelenken goldene Ketten. Nicht sonderlich praktisch für einen, der auch mal in der Scheiße anderer Leute wühlen musste. Aber Handwerk auf St. Pauli hatte ganz offensichtlich goldenen Boden.
    »Den zock ich ab!«, prahlte ich gegenüber Fritz und seinem Cousin. »Ich weiß auch, wie. Mit dem verchromten Replikat der 44er Magnum. Du hast die doch noch, oder?«
    Boris nickte.
    »Aller«, schrie Fritz mich an. »Du bist ja wohl nicht ganz dicht, oder!« Doch das Lächeln in seinem Gesicht passte nicht zu der Entrüstung. Fritz wusste genau, wie er auch den letzten Zweifel in mir beseitigen konnte. Sein Lächeln war eine Herausforderung, die letzte, die es noch brauchte.
    »Geile Idee«, sagte Boris. »Aber du darfst dem Typen das Ding nicht so vors Gesicht halten, sonst kann er in den Lauf gucken. Dann sieht er, dass sie nicht echt ist.«
    Wir lachten.
    Am nächsten Tag drückte Boris mir die Waffe in die Hand. Ich verspürte Ehrfurcht, Respekt und ein wenig Angst. Sie war schwer, sehr schwer. Kein Vergleich zu einem Plastikding. Und was ich vorhatte, das wog ebenfalls schwer. Es konnte mich die Freiheit kosten. Meine Hände schwitzten vor Aufregung und Überforderung. Einerseits fühlte ich mich wahnsinnig stark und überlegen mit dieser Knarre in der Hand. Andererseits war sie das Sinnbild für Tod und Verderben. Was ich vorhatte, konnte mein Leben verändern, es zerstören. Nach außen gab ich weiterhin den überzeugten, coolen Typen vom Kiez. Ein Mann durfte niemals Schwäche zeigen. Auch nicht vor seinen Freunden.
    »Aller, ist die schwer«, raunte ich. »Die sieht genau wie ’ne echte aus. Geil!« Dabei hatte ich noch nie eine echte Pistole in der Hand gehalten.
    »Hier, du kannst den Schaft abziehen und das Magazin rausholen.« Boris nahm die Waffe und zeigte mir, wie sie funktioniert. Dann hielt er mir das Prunkstück unter die Nase. Ich starrte in den Lauf.
    Michel, da war dein Mund wieder schneller als dein Kopf, dachte ich, tolle Idee. ’nen schwulen Klempner mit ’ner

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