Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition)

Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition)

Titel: Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Meyer zu Kueingdorf , Michel Ruge
Vom Netzwerk:
kämpfen, lieben und unsere Schlachten schlagen, ohne dabei bevormundet zu werden. Wir wollten unseren eigenen Weg entdecken. Und es musste einer sein, auf dem nicht schon unsere Eltern gegangen waren.
    In den achtziger Jahren wurde alles reflektiert. Alle waren auf Sicherheit bedacht. Bloß kein Risiko eingehen! Es war die Zeit der Yuppies, der Verkopfung, der Vereinsamung, der harten Drogen. All das wollten wir nicht. Wir hörten die Musik der unterdrückten schwarzen Minderheit Amerikas, weil wir genauso fühlten. Wir waren die unterdrückte soziale Schicht, verachtet vom Bürgertum. Wir nahmen keine Drogen, weil wir uns nicht selbst zerstören wollten. Wir wollten stark sein, sportlich, und wir wollten lachen. Wir wollten nicht die Resignation unserer Eltern leben. Das politische Terrain war weitgehend abgegrast. Die Kultur wurde kommerzialisiert. Es gab kaum noch Schwarz-Weiß-Feindbilder. Die Welt war komplexer geworden.
    Der Autor des Spiegel beklagte, dass wir keine politischen Ambitionen hätten. Wenn er nur etwas genauer hingesehen hätte: Die politischen Visionen und Konflikte der sechziger und siebziger Jahre waren in den Achtzigern kaum noch zu spüren. Man nahm Heroin, frisierte sich die Haare wie ein Außerirdischer, trug Glitzerklamotten, tauchte ab in eine andere Welt, oder man machte sich kaputt. Die Endzeitvisionen jener Zeit, die nukleare Katastrophe als mögliche Folge eines Konflikts der beiden Supermächte USA und Sowjetunion, Brokdorf und Tschernobyl, Waldsterben, NATO-Doppelbeschluss – all das trieb die Jugend nicht nur zu den Grünen, sondern auch in den Eskapismus des Pop. Die RAF und die Revolutionären Zellen waren zu reinen Mordkommandos verkommen, deren politische Ideen kaum noch jemanden interessierte. Unsere Revolte bestand darin, dass wir nicht so werden wollten wie unsere Hippie-Eltern. Ausgerechnet Punk war ganz im Sinne der Achtundsechziger-Mamis und -Papis. Punk lebte die Depression und die politische Enttäuschung der Eltern aus. So waren die Punks mit ihrer No-Future-Philosophie die radikalste Gegenströmung zu uns. Wir in den Gangs empfanden unsere Kultur als krassen Schnitt mit der politischen Kultur der Eltern. Wir wollten anders sein. Wir wollten die Last, die sie uns aufgebürdet hatten, abschütteln – wenn nötig mit Gewalt. Wir wollten wir sein. Wir, die Kinder der Arbeiter und Migranten. Doch niemand traute uns etwas zu. Deswegen waren wir bei den Breakers, den Champs und den anderen Gangs.
    Die Breakers wurden im Spiegel nicht erwähnt. Dazu hätte sich sein Autor die Mühe machen und ordentlich recherchieren müssen. Wir waren eine kleine Gang, die am Anfang der Bomberjackengangkultur stand. Wir waren ein romantischer Haufen, noch immer auf der Suche nach Idealen und Strukturen. Das mag einer der Gründe dafür sein, dass mit der Zeit viele von uns (mich eingeschlossen) zu anderen Gangs abwanderten. Zu Gangs, die einen Namen hatten und die mit der Zeit professioneller, aber auch brutaler geworden waren. So wie es uns der Kiez jeden Tag vorlebte. In den ersten Jahren hielten wir den Ehrenkodex sehr hoch. Doch wie auf dem Kiez verschwand auch in den Gangs bald die alte Ganovenehre. Aber noch galt: Wenn wir in den Gangs einen gemeinsamen Feind hatten, dann rotteten wir uns zusammen. Und unser schlimmster gemeinsamer Feind waren die Nazis!
    Eines Tages war ich zusammen mit Cem, einem anderen Breaker, in der S-Bahn Richtung Landwehr unterwegs. Keine Ahnung, was wir da wollten. Vielleicht nachsehen, ob es auch außerhalb von St. Pauli intelligentes Leben gab. Aber das schien uns sehr unwahrscheinlich. An einer Station stiegen Skinheads ein, rechte, das sah man. Es gab Zeichen an jeder Uniform, und linke konnte man von rechten Skinheads anhand der Schnürsenkel ihrer Doc Martens unterscheiden: rote bei den Red Skins, weiße bei den Naziskins. Diese hier trugen weiße.
    Cem sah die drei grimmig an. »Solche Typen machen mich krank«, murmelte er mir zu.
    Kaum hatte er das gesagt, stand er auf, stapfte zu den drei Skins und schlug zu. Cem hatte noch nicht mal eine Ansage gemacht. Die überraschten Skins kamen gar nicht dazu, sich zu wehren, sie beugten sich mit Händen über den Kopf nach vorn. Zwei hatte er fest im Griff. Ich stand auch auf und schob dem dritten gleich meine Hand ins Gesicht. Ich tat es mühelos, er konnte mir nichts entgegensetzen. Die Skins duckten sich immer weiter vor unseren Schlägen und Tritten, bis sie ein einziges Knäuel mit weißen

Weitere Kostenlose Bücher