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Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition)

Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition)

Titel: Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Meyer zu Kueingdorf , Michel Ruge
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sich seine Eltern vorgestellt hatten. Wir verbrachten immer noch viel Zeit miteinander. Doch es war anders. Äpfel stehlen konnte ich mit Wladimir nicht mehr. Aber er blieb mein Freund.
    Die Lehrer wunderten sich, was aus dem mittelmäßigen Schüler Michel Ruge geworden war. Damals lernte ich: Was ich mir in den Kopf setze, das kann ich erreichen, aus eigener Kraft. Als ich mit einem Einser-Zeugnis nach Hause kam und tatsächlich die Empfehlung fürs Gymnasium bekam, hätten sich meine Mutter und Kalle eigentlich freuen müssen. Aber statt Freude und Stolz flog mir ihr Ärger entgegen.
    »Da will der nun noch länger bei uns wohnen!«, schrie Kalle. »Ich glaub, ich spinne!« Außerdem war meine Mutter wieder schwanger.
    Mein Freund Mirko lebte in einer Jugend-WG.
    »Wenn du beim Jugendamt Druck machst«, meinte er, »bekommst du auch einen Platz in einer WG.« Also schleppte ich meine Mutter ins Kinderhaus. Dort hatten wir ein Treffen mit Betreuern und Psychologen. Wir saßen, so wie ich es aus der Kommune kannte, im Kreis.
    »Ich will von zu Hause weg«, sagte ich selbstbewusst.
    »Was sagen Sie als Mutter dazu?«
    »Ja, wenn er das will. Wir überlegen schon die ganze Zeit.«
    Meiner Mutter und Kalle konnte ja gar nichts Besseres passieren.
    »Michel«, wurde ich dann gefragt, »was findest du denn an deiner Mutter gut, wenn du sie kurz beschreiben solltest?«
    Ich dachte angestrengt nach. Die Zeit verging. Die Stille war beklemmend. Aber ich wusste einfach nicht, was ich sagen sollte. Die hätten mich lieber fragen sollen, was ich an meiner Mutter nicht leiden konnte. Dann zuckte ich mit den Schultern.
    »Nichts?«, fragte der Psychologe.
    »Doch, doch«, schoss es aus mir heraus. »Sie hat mit dem Rauchen aufgehört.«
    Alle schwiegen und blickten mich sehr ernst an. Auch meine Mutter. Es war das einzig Positive, was mir einfiel. Nach all den Jahren des Streits und der Nerverei. Dann war meine Mutter an der Reihe.
    »Was finden Sie denn an Ihrem Sohn gut, Frau Ruge?«
    Meine Mutter schluckte. Dann sagte sie: »Jaaa. Er ist ein liebenswerter Chaot. Er ist fröhlich und lacht viel.«
    Ich war erstaunt, dass sie mich so sah. Am Ende der Sitzung war den Betreuern wohl klar, dass sie nicht das ideale Mutter-Sohn-Verhältnis vor sich hatten. Die Entscheidung fiel schnell. Meinem Antrag wurde stattgegeben. Ich durfte in eine betreute Jugend-WG. Die Kisten hatte ich rasch gepackt. Als ein Betreuer kam, um mir beim Umzug zu helfen, war meine Mutter nicht zu Hause. Ich verließ die Wohnung, wie ich sie bewohnt hatte: allein.
    Ich zog ins Karoviertel, in eine Vierzimmerwohnung. Das Karolinenviertel war damals eine wilde Gegend. Dort wohnten Hausbesetzer, asoziale Typen, einfache Arbeiter, Linke. Es war ein Kiez, auf dem es brodelte. Ich passte also gut dorthin.
    Gleich in der ersten Nacht spielte ich mit meiner WG-Genossin Ulrike Strippoker. Ich witterte eine Chance. Zwar hatte ich schon mit Prostituierten gefickt. Aber das zählte nicht. Ich war quasi immer noch Jungfrau. Bei den Champs war ich deswegen schon ’ne Lachnummer. Deshalb versuchte ich, dem Schicksal etwas auf die Sprünge zu helfen. Mit mäßigem Erfolg. Ulrike verlor die Partie sehr, sehr schnell. Schon nach zehn Minuten lag sie nackt unter meiner Bettdecke. Sie schlief bei mir, aber nicht mit mir.
    Am nächsten Morgen riss mich der Wecker aus den Träumen. Was für ein Einstand in mein neues Leben wäre das gewesen! Jeden Moment würde der Betreuer auftauchen. Ich sprang aus dem Bett, lief in den Flur und wurde dort von einer Männerstimme überrascht – Gregor, unser Betreuer.
    »Michel! Guten Morgen! Wo is Ulrike denn?«
    Ich stand nackt da.
    Das war’s!, dachte ich. Schluss mit dem neuen Leben in Freiheit.
    Dann sagte ich: »Die schläft noch.«
    Gregor blieb ganz cool. »Is mir doch egal, was ihr hier macht. Hauptsache, ihr steht pünktlich auf.«
    Ich konnte es kaum fassen. Das war ein Leben, wie ich es mir vorstellte. Was war das für ein herrliches Gefühl der Freiheit. Auch in den nächsten Tagen schlief ich mit Ulrike zusammen in einem Bett. Jungfrau war ich danach allerdings immer noch.
    An meinem ersten Sonntag in der WG war ich alleine. Ich kochte Spaghetti und freute mich auf den Bud-Spencer-Film, der am Nachmittag im Fernsehen laufen sollte. Es klingelte. Wer konnte das sein? Ich stapfte zur Tür, öffnete, und da stand sie: Melanie. Ich traute meinen Augen nicht. Melanie war Claudias beste Freundin gewesen. Sie hatte blondes Haar und war

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