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Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition)

Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition)

Titel: Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Meyer zu Kueingdorf , Michel Ruge
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vertrauten uns. Wir zogen gemeinsam durch St. Pauli und wir flachsten herum, aber mehr war nie. Doch für alles, was ich mit ihr hatte, bin ich bis heute dankbar. In diesem Moment aber war ich ohnmächtig. Was auch immer ich versucht hätte, es wäre unmöglich gewesen, sie zu retten.
    Zu meiner Ohnmacht kam die Feigheit: Ich wollte sie in ihrem kaputten Zustand nicht sehen. Stattdessen wollte ich sie als das in Erinnerung behalten, was sie für mich gewesen war: das tollste und stärkste Mädchen von St. Pauli. Wenn ich heute an sie denke, frage ich mich: Wer war sie wirklich? Hat sie je zugelassen, dass ich einen Blick auf ihr Innerstes werfen und sehen konnte, wer sie wirklich war. Ich weiß es nicht.

    Eines Nachmittags kam Claudia mir entgegen. Sie sah aus wie eine Erwachsene. Ihre Kleidung war elegant, nicht so billig, wie Prostituierte es sonst trugen. Ihre Beine schmiegten sich beim Gehen gekonnt aneinander. So, wie ich es von ihr kannte. Sie trug Pumps und Seidenstrumpfhosen. Ihren Blick hatte sie leicht gesenkt.
    »Claudia!«, sagte ich. Aber sie lief weiter, an mir vorbei, ohne ein Wort zu sagen, als hätte sie mich nicht bemerkt. Ich schaute ihr nach, lange schaute ich ihr nach, bis sie verschwand. Ich lief ihr nicht nach. Sie war schon zu weit weg.
    Sechs Monate später war Claudia tot. Sie hatte sich im Keller des Hauses, in dem sie mit ihrer Oma lebte, den Goldenen Schuss gesetzt. Das Heroin, der Totmacher der Achtziger, hatte sich ein weiteres Opfer geholt: Claudia, gerade erst sechzehn. Ein Licht, das den ganzen Kiez mit seiner Jugendlichkeit erstrahlt hatte. Für mich lag über allem ein grauer Schleier. Ich lief umher, traurig, ziellos. Das verdammte Heroin hatte mir das Schönste genommen, was ich kannte.

22 Das kalte Lächeln vom Kiez
    N ach der Nachricht von Claudias Tod verkroch ich mich erst einmal bei meiner Oma im Hotel. Sie hatte ein Gespür dafür, wenn etwas nicht mit mir stimmte. Meine Stimme verriet mich.
    »Is was, mien Jung?«, fragte sie.
    »Nöö. Was soll sein?«, wiegelte ich ab.
    »Joa, du hörs’ dich so an.«
    »Aaach. Alles gut.«
    Ich war noch nicht so weit, ich konnte noch nicht reden. Ich machte mich gleich wieder auf den Heimweg.
    An der Ampel beim »Grünen Jäger« krallte sich die Trauer wieder in mein Herz. Ich ging noch einmal die Straßen entlang, durch die Claudia und ich zehn Jahre lang gestreunt waren. Ich lief, dann rannte ich, so schnell ich konnte. Ich wollte weg, raus aus alldem. Dann war ich doch wieder nur zu Hause. Ich schlug mit der Faust gegen die Wand. Dann kam die Stille. Meine Gedanken stoben auseinander.
    Das Telefon klingelte. Ich nahm ab und hörte Fritz’ aufgedrehte Stimme.
    »Aller! Mann, dich erreicht man ja gar nicht mehr.«
    »Kann sein«, murmelte ich.
    »Michel! Pass auf. Da ist doch die Casino-Eröffnung. Da müssen wir hin. Unbedingt. Da ist der ganze Kiez auf den Beinen.«
    Mir war nicht nach Rausgehen und Luden bestaunen. Der ganze Kiez war mit schuld an Claudias Tod.
    »Ich weiß nich, Fritz.«
    »Du brauchst Ablenkung, Aller! Glaub mir. Meinst du, was da für Frauen sind. Das bringt dich auf andere Gedanken.«
    Fritz ließ sich nicht abwimmeln. Und ich hatte keine Kraft, ihn mir vom Hals zu halten. Also sagte ich zu. »Gut. Ich komm mit.«
    Kurz nach seiner Pensionierung hatte der Chef der Davidwache das Casino auf der Reeperbahn übernommen. Seit Wochen sprach man auf dem Kiez von nichts anderem als der großen Eröffnung. Fritz’ Eltern waren eingeladen. Wir allerdings nicht. Aber wir hatten einen Plan. Wir würden uns einfach mit der Meute treiben lassen. Vor dem Casino ging es zu wie in einem Mafiafilm. Mercedes’, Ferraris und Porsches fuhren vor dem grell erleuchteten Eingang des Casinos auf, Männer in mal schicken, mal grellen Anzügen stiegen aus, die meisten trugen Sonnenbrillen. Jeder von ihnen hatte mehrere Frauen im Schlepptau. Vor dem Casino drängten sich zahlreiche Schaulustige, dazu Fotografen und Kameraleute. Blitzlicht zuckte. Die Fotografen schrien Namen. Breitschultrige Leibwächter riegelten ihre Herren ab. In der Luft lag dieser süße Duft von Frauen und ihren Parfums. Selbst jetzt, so kurz nach Claudias Tod, spürte ich, wie sehr mich diese Glitzerwelt anzog. Ich war eines ihrer Kinder.
    »Michel, los! Jetzt gehen viele rein. Komm mit.« Fritz zog mich an der Jacke und schon hingen wir mitten zwischen massigen, muskelgestählten Leibern, schlanken, seidenen Frauenkörpern und wurden unbemerkt in das

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