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Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition)

Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition)

Titel: Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Meyer zu Kueingdorf , Michel Ruge
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wollte weg von der Straße. Aber diese Welt, die mir die Lady bot, das war nicht die, nach der ich suchte, das hatte ich in den vergangenen zwei Wochen erfahren. Diese Welt wurde von Intrigen bestimmt, von Verlogenheit. Auf St. Pauli gab es wenigstens klare Ansagen und das Faustrecht. Sicher, auch der Kiez war verlogen; aber er war es auf eine liebevolle, verspielte Art, die immer ein Stück weit den Respekt vor dem anderen wahrte. In der Welt der Lady war sehr viel mehr Schärfe und Boshaftigkeit. Für diese Welt waren Intrigen das, was Gewalt für die andere Welt war – Mittel zum Zweck, eine Waffe im Kampf ums Überleben.
    Sosehr ich die Annehmlichkeiten dieser Welt in den letzten Tagen genossen hatte, sie blieb mir doch fremd. Ihre Benimmregeln blieben mir fremd, ihre Heucheleien widerten mich an, der Lug und Trug hinter der glitzernden Fassade mit ihrem Dauerlächeln. Ich hatte Sehnsucht nach St. Pauli. Mir fehlten meine echten Freunde.
    Plötzlich stand die Lady neben mir.
    »Na, Michel«, hauchte sie mir ins Ohr. Sie merkte, dass etwas nicht stimmte. Sie küsste meinen Hals, obwohl sie wusste, dass ich das nicht ausstehen konnte: In der Welt, aus der ich stammte, in St. Pauli, küsste eine Frau dem Mann nicht leidenschaftlich den Hals. Ich schaute sie missmutig an.
    »Wir sind nach Jugoslawien eingeladen, Michel. Hast du Lust?« Die Frage riss mich aus meinen trübsinnigen Gedanken.
    »Wann?«
    »Wenn du willst, können wir schon am Wochenende fahren.«
    Warum nicht? Jugoslawien klang gut. Schließlich wollte ich die Welt kennenlernen. Allerdings gab es einen entscheidenden Haken. Ich war pleite. Und ich hatte keine Idee, wie ich auf die Schnelle an Geld kommen könnte. Doch das war mir erst einmal egal, ich mochte die Idee einer Reise. »Okay. Ich bin dabei.« Nun musste ich nur noch die Kohle auftreiben.

26 Geld
    G leich am nächsten Tag rief ich meine Freunde Tom, Olli und Boris an. Ich brauchte einen Job und Geld, viel Geld. Möglichst schnell. Ich war berauscht von den letzten Wochen mit der Lady, auch wenn mir ihre Welt oft zuwider war. Aber es bot sich mir ein Blick auf Dinge, die ich nie zuvor gesehen hatte, eine Welt, wie ich sie nicht kannte. Und wie auch immer ich über sie urteilte – sie barg viele Reize für mich. Ich wollte den Sturm, mit all seinen Gefahren. Und Tom konnte mir dabei helfen. Er hatte einen Job für mich. Es ging um Personenschutz. Mit meinen achtzig Kilo kam ich mir allerdings vor wie ein Hering.
    »Du bist doch ein guter Kämpfer«, meinte Tom. »Das machst du schon. So einen wie dich kann ich gut gebrauchen.«
    Nun musste ich abwägen: Lag mir so viel an diesem Urlaub, dass ich einen Job annahm, der nicht ungefährlich war? Oder sollte ich kneifen und nach den letzten Wochen endlich wieder zur Ruhe kommen?
    Ich nahm den Job an. Tom zeigte mir, wie man einem Gegner mit einer Eisenstange den Schädel brach. Eine kurze Eisenstange, circa ein Kilo schwer, mit Wucht und Kante voll über die Stirn.
    »Da bricht das Ding zusammen«, sagte Tom. »Du musst oberhalb des Haaransatzes treffen.«
    Der bloße Gedanke an das, was ich hier übte, stieß mich ab. Aber ich war eine Verpflichtung eingegangen und zeigte mich eifrig während Toms Demonstration. Außerdem redete ich mir ein, dass sowieso nichts passieren würde. Wir waren schließlich zu viert. Alles große, kräftige Schlägertypen, deren harte Gesichter so aussahen, als hätten sie Erfahrung im Schädelbrechen. Und in der Tat: Die anderen arbeiteten wie Tom als Wirtschafter in verschiedenen Bordells. Nur ich hatte keine Ahnung.
    Ein Kleinbus holte uns ab. Wir fuhren zum Hotel »Europäischer Hof« am Hauptbahnhof und trafen dort den angeblichen Geschäftsmann, den wir beschützen sollten. Es musste sich um irgendeine illegale Nummer handeln, sonst hätte Tom auch herkömmliche Bodyguards besorgen können, und nicht irgendwelche Jungs vom Kiez. Mir war ziemlich unwohl bei der Sache. Es war bereits dunkel. Schwer und drückend hing der Abendhimmel über der Stadt. Zusätzlich zum Bus hatten wir nun noch einen Wagen, in dem ich mitfuhr. Über die Autobahn ging es Richtung Ellerbek, einem Vorort von Hamburg im Nordwesten der Stadt. Was für ein surrealer Trip. Gestern noch war ich mit den Promis der Stadt auf einer Party im Bellevue. Heute saß ich mit ein paar kleinen Kriminellen in diesem Auto, um einen größeren Kriminellen zu beschützen. Ich war mir sicher, dass Tom mich nur mitgenommen hatte, um mir in meiner Geldnot

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