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Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition)

Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition)

Titel: Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Meyer zu Kueingdorf , Michel Ruge
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Strukturen aufgeweicht. Man traf nun viele Jungs ohne Visionen in den Gangs. Ich selbst schwebte zwischen mehreren Welten, war hin- und hergerissen zwischen St. Pauli und der Gang, zwischen Wladimirs Linken und den blasierten Reichen von der Alster. Eine dieser Welten wäre mir zu wenig gewesen. Ich war wie ein Chamäleon und konnte mich den Gegebenheiten gut anpassen. Es war eine Eigenschaft, die mir Vorteile brachte. Von Kalle hatte ich gelernt: Damit man frei sein konnte, musste man sich frei bewegen können, möglichst ohne Vorurteile und ohne Scheuklappen. Meine Oma war auch so. Und ich glaube, dass es die Mentalität der St. Paulianer ist, sich souverän zwischen verschiedenen Kulturen und Schichten bewegen zu können. Denn St. Pauli war immer schon ein Sammelsurium aus allem und jedem. Das machte St. Pauli stark.
    Noch konnte ich nicht loslassen. Noch nicht. Ich wusste noch nicht, wohin. Ich hielt mich an dem fest, was ich kannte, auch wenn sich längst alles verändert hatte. Mein Traum von St. Pauli lag in Trümmern. Vielleicht gerade deshalb traf ich viele alte Freunde und Bekannte. Wir schwelgten in Erinnerungen, schnackten über alte Zeiten und wer wo gelandet war, wer gestorben oder ermordet worden war, wer in die Türkei oder nach Jugoslawien gegangen war, wer im Knast war und wer richtig viel Asche gemacht hatte. Bei den Champs gehörte ich nun zu den Alten, die schon die Anfangszeit erlebt hatten. Die Neuen interessierten mich nicht. Sie kamen mir vor wie Amöben, die ihre Form beliebig allen Ansprüchen und Umständen anpassen konnten. Ehrgefühl war für sie nichts weiter als ein leerer Begriff aus alten Zeiten. Sie waren ohne Ideale, ohne Träume. Jeder stand zuerst für sich alleine, das Gefühl, eine Gruppe zu sein, eine Gang, in der man füreinander einsteht, das kannten die meisten von ihnen gar nicht. Sie nahmen Drogen und soffen. Ich war erst siebzehn, aber ich sah, wie eine Welt unterging. Eine Welt, in der ich aufgewachsen war, die ein Teil von mir war – und ich von ihr.
    Dann kam der Tag, an dem diese Typen ihre Abreibung bekommen sollten: die letzte Schlacht. Wir wussten, wo sich unsere Gegner aufhielten und wie sie ihr Geld verdienten. Die Typen waren nichts als lausige Schläger und Erpresser. Ich wollte, dass die Rechnung beglichen wird. Die letzte Rechnung. Wir schafften es, zwanzig Champs zusammenzutrommeln. Sogar der große Markus kam mit, obwohl ich sonst immer nur Ärger mit ihm gehabt hatte. Nicht so viele wie in den alten Zeiten, aber es war eine schlagkräftige Truppe. Die meisten hatten schon lange nichts mehr direkt mit der Gang zu tun. Aber dieses letzte Mal wollten sie noch dabei sein: einmal ein Champ, immer ein Champ!
    Wir waren gut bewaffnet, hatten Baseballschläger, Messer und Eisenstangen dabei. Wir liefen die Königstraße entlang. Wir trugen Bomberjacken und Boxerstiefel, wie früher. Ein Früher, das noch gar nicht so lange her war. Wir marschierten durch Ottensen, putschten uns gegenseitig auf. Das Adrenalin kochte. Ich fühlte mich stark, unbesiegbar. Ich trug meine Lederhandschuhe, mit denen ich besser zuschlagen konnte. Die Passanten wichen vor uns zurück. Wir waren keine kleinen Jungs mehr, sondern Erwachsene. Wir waren kräftig. Wir sahen gefährlich aus. Einige trugen Narben von Schlägereien und Keilereien im Gesicht. Sie trugen sie wie Abzeichen. Andere waren weniger stolz auf ihre Narben, die sie auf der Seele trugen. Es waren die eigentlichen Spuren, die das Leben im Milieu mit sich brachte. Fahle, bleiche Gesichter, aus denen tief in ihren Höhlen liegende Augen entschlossen nach vorne stierten.
    Wir waren am Ziel. Ich sah den Jeep, den ich von der Aktion her noch kannte. Zwei der Schläger saßen darin.
    »Da sind sie!«, schrie ich, und die Champs setzten sich in Bewegung. Der Asphalt begann zu dröhnen. Wir umringten das Auto. Ich wollte nicht, dass die Truppe die beiden sofort kaltmachte.
    »Kommt raus!«, schrie ich.
    Einer von uns war auf die Motorhaube gesprungen und trat mit aller Kraft gegen die Windschutzscheibe, wieder und wieder. Einer setzte mit dem Baseballschläger nach, bis die Scheibe zu Bruch ging. Es krachte. Markus packte sich den Fahrer, der noch versuchte, den Motor zu starten und abzuhauen – vergebens. Er zerrte an ihm und wollte ihn durch die Scheibe ziehen. Es krachte und dröhnte. Alle traten und schlugen gegen den Jeep. Der Beifahrer öffnete die Tür und sprang auf die Straße. Ich trat ihm in den Bauch. Er

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