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Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)

Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)

Titel: Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher McDougall
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war. Oder dass ich schon bald den gleichen Weg noch einmal zurücklegen würde.

    »Es ist unglaublich!«, keuchte Caballo.
    Er glänzte vor Schweiß und hatte in seiner Aufregung ganz große Augen bekommen. Jetzt versuchte er wieder zu Atem zu kommen, wischte den Schweiß von seiner tropfnassen Brust und schleuderte den Tropfenregen, der unter der heißen mexikanischen Sonne glitzerte, an mir vorbei. »Wir haben hier ein Weltklasserennen!«, schnaufte Caballo. »Hier draußen, im Nirgendwo!«
    Bei Kilometer 68 lagen Silvino und Arnulfo immer noch vor Scott, während Jenn dem Führungstrio näherrückte. Als Jenn das zweite Mal durch Urique lief, ließ sie sich auf einen Stuhl fallen, um eine Cola zu trinken, aber Mamá Tita griff ihr unter die Arme und stellte sie wieder auf die Beine.
    »Puedes, cariña, puedes!«, rief Tita. Du schaffst es, Liebling!
    »Ich steige nicht aus«, versuchte Jenn einen zaghaften Protest. »Ich muss nur etwas trinken!«
    Aber Titas Hände waren bereits in ihrem Rücken und schoben sie auf die Straße zurück. Und das geschah gerade noch rechtzeitig. Herbolisto und Sebastiano hatten die flache Teilstrecke, die in den Ort zurückführte, genutzt, um Jenn bis auf 400 Meter nahezurücken, während Billy Bonehead sich von Luis gelöst hatte und seinerseits nur noch einen knappen halben Kilometer hinter Jenns Verfolgern lag.
    »Das ist ein großer Tag für uns alle!«, sagte Caballo. Er lag etwa eine halbe Stunde hinter den Führenden, und das machte ihn ganz verrückt. Nicht weil er verlor, sondern weil die Gefahr bestand, dass er den Zieleinlauf verpasste. Die Spannung war so unerträglich, dass Caballo schließlich beschloss, aus seinem eigenen Rennen auszusteigen und nach Urique zurückzukehren, um dort nach Möglichkeit die Schlussphase zu erleben.
    Ich sah ihn loslaufen und hätte so gern mit ihm mitgehalten. Ich war so müde, dass ich den Weg zu der schmalen Hängebrücke nicht fand, die über den Fluss führte, und irgendwo weiter unterhalb landete, sodass ich gezwungen war, den Fluss ein viertes Mal zu durchwaten. Als ich am anderen Ufer dann durch den Sand wieder auf festen Grund schlurfte, wollten mir meine durchnässten Füße kaum mehr gehorchen. Ich hatte den ganzen Tag hier draußen verbracht und war jetzt wieder am Ausgangspunkt desselben endlosen alpinen Anstiegs angelangt, von dem ich am Morgen fast heruntergefallen wäre, als mir die tote Schlange so einen fürchterlichen Schrecken eingejagt hatte. Es war ausgeschlossen, dass ich den Rückweg vor Sonnenuntergang schaffte, also würde ich diesmal im Dunkeln dem Ziel zustolpern.
    Ich senkte den Kopf und fiel in meinen Trott. Als ich wieder aufschaute, war ich von Tarahumara-Kindern umgeben. Ich schloss die Augen und öffnete sie wieder. Die Kinder waren immer noch da. Ich war so glücklich, dass sie keine Sinnestäuschung waren, dass ich fast geweint hätte. Woher sie gekommen waren und warum sie sich gerade mich als Begleiter ausgesucht hatten, war mir ein Rätsel. Gemeinsam liefen wir immer weiter bergan.
    Nach etwa 800 Metern huschten sie blitzschnell einen nahezu unsichtbaren Nebenweg hinauf und winkten mir, ihnen zu folgen.
    »Ich kann nicht«, sagte ich mit Bedauern.
    Sie zuckten mit den Schultern und verschwanden im Gebüsch. »Gracias!«, krächzte ich und vermisste sie schon. Ich mühte mich weiter bergauf und fiel dabei in einen schlurfenden Trott, der nicht schneller war als ein Spazierschritt. Ich erreichte ein kurzes Plateau, und die Kinder saßen bereits da und warteten auf mich. So also hatten sich die Tarahumara aus Urique ihren großen Vorsprung erarbeitet. Die Kinder sprangen auf und liefen wieder neben mir her, bis sie abermals im Gestrüpp verschwanden. Nach knapp einem Kilometer waren sie wieder da. Diese Begegnung wurde allmählich zu einem Albtraum: Ich lief und lief, aber nichts änderte sich. Der Anstieg zog sich endlos in die Länge, und wohin ich auch schaute, überall tauchten diese Kinder des Korns auf.
    Was würde Caballo tun?, fragte ich mich. Er brachte sich hier draußen in den Canyons immer wieder in aussichtslose Situationen und hatte noch immer einen Weg gefunden, auf dem er sich freilaufen konnte. Er würde es einfach angehen, sagte ich mir. Wenn das alles ist, was man erreichen kann, ist das schon mal nicht schlecht. Dann würde er es mit leicht versuchen. Er würde mühelos weitermachen, als ob es ihm egal wäre, wie hoch der Berg ist oder wie weit er laufen müsste …
    »OSO!«

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