Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)
einmal gelang, ihn zu besiegen? Der Sinn des Laufens lag nicht im Gewinnen. Er hatte das schon seit seiner Außenseiterzeit als »Jerker« gewusst, als er mit dreckbeschmiertem Gesicht mit weitem Abstand hinter Dusty herhechelte. Die wahre Schönheit des Laufens war … war …
Scott war sich der Antwort nicht mehr sicher. Nach seinem siebten Sieg bei Western States im Jahr 2005 wusste er aber, wo er suchen musste.
Zwei Wochen nach Western States stieg Scott von den Bergen herab und machte sich mit dem Auto auf den langen Weg durch die Mojave-Wüste bis zum Start des berüchtigten Badwater Ultramarathons. Als Ann Trason zwei Ultramarathons innerhalb eines Monats lief, blieb sie zumindest auf dem Planeten Erde. Scott sollte sein zweites Rennen auf der Oberfläche der Sonne laufen.
Das Tal des Todes ist eine perfekte Grillvorrichtung, der Superröster in Mutter Naturs Geräteschrank. Eine große, schimmernde Salzwüste, die von Bergen umgeben ist, die die Hitze speichern und sie auf den Wanderer abstrahlen. Die durchschnittliche Lufttemperatur bewegt sich um die 52 Grad Celsius, aber nach Sonnenaufgang, sobald sich der Wüstenboden aufheizte, würde die Temperatur unter Scotts Füßen auf angenehm-glühende 93 Grad steigen – auf genau den Wert, den man brauchte, um eine Hochrippe zu braten. Außerdem ist die Luft an diesem Ort so trocken, dass man zu dem Zeitpunkt, an dem der Durst sich bemerkbar macht, schon so gut wie tot sein könnte. Der Schweiß fließt so rasch und in so großen Mengen, dass man einen gefährlichen Flüssigkeitsverlust erleiden kann, noch bevor man es im Hals spürt. Wer hier versucht, am Trinkwasser zu sparen, könnte zum Todeskandidaten werden.
Doch jedes Jahr im Juli sind 90 Läufer aus aller Welt bis zu 60 Stunden lang auf dem brodelnden schwarzen Teerband des Highway 190 unterwegs und achten unterwegs darauf, dass sie immer auf den weißen Markierungslinien laufen, damit die Sohlen ihrer Laufschuhe nicht schmelzen. Nach 27 Kilometern sind sie am Furnace Creek, dem Ort, an dem die höchste je in den Vereinigten Staaten gemessene Temperatur registriert wurde (56,7 Grad Celsius/134 Grad Fahrenheit). Ab dort wird alles nur noch schlimmer: Die Läufer müssen noch drei Berge überqueren, werden von Halluzinationen und Magenkrämpfen heimgesucht und sind mindestens noch eine lange Nacht im Dunkeln unterwegs, bevor sie das Ziel erreichen. Wenn sie es erreichen: Lisa Smith-Batchen ist bis heute die einzige amerikanische Siegerin beim sechs Tage dauernden »Marathon des Sables« (»Sandmarathon«) in der Sahara im östlichen Teil Marokkos geblieben, aber selbst sie musste bei Badwater im Jahr 1999 aus dem Rennen genommen und mit einer Notinfusion versorgt werden, um ein Versagen der völlig ausgetrockneten Nieren zu verhindern.
»Dies ist die Landschaft der Katastrophe«, schrieb ein Chronist über das Tal des Todes. Ein Rennen mitten durch eine mörderische Landschaft, in der sich verirrte Wanderer fast die geschwärzte Zunge aus dem Hals reißen, bevor sie verdursten, ist ein bizarres und in gewisser Weise transsylvanisches Unterfangen, wie Dr. Ben Jones aus eigener Anschauung berichten kann. Er lief 1991 selbst in Badwater mit, als er eilends verpflichtet wurde, den Leichnam eines Wanderers zu untersuchen, der im Sand entdeckt worden war.
»Ich wüsste keinen anderen Arzt, der als Teilnehmer eines Rennens eine Autopsie vorgenommen hat«, merkte er an. Und es ist keineswegs so, dass ihm das Morbide fremd wäre: »Badwater Ben« war auch dafür bekannt, dass er sich von seiner Versorgungsmannschaft zur Kühlung einen mit Eiswasser gefüllten Sarg an den Highway stellen ließ. Die nachfolgenden Läufer waren entsetzt, als sie den erfahrensten Teilnehmer im Feld am Streckenrand in einem Sarg liegen sahen – die Augen geschlossen, die Arme über der Brust verschränkt.
Was dachte sich Scott bei dieser Geschichte? Er war in Minnesota aufgewachsen und hatte über den Skilanglauf zum Ausdauersport gefunden. Was wusste er schon über schmelzende Schuhsohlen und Särge mit Eiswasser? Selbst Chris Kostman, der Badwater-Renndirektor, war sich sicher, dass Scott hier außerhalb seines Erfahrungsbereichs unterwegs sei: »Dieses Rennen war mehr als fünfundfünfzig Kilometer länger als seine bis dahin längste Wettkampfstrecke«, merkte Kostman an, »und außerdem doppelt so weit, wie er bisher auf einem festen Belag gelaufen war, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass es hier bedeutend heißer war
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