Bosmans/Deleu 01 -Nackte Seelen
Kirche gegangen.«
»Diesen Aspekt möchte ich weiter untersuchen, Jos. Ich will mich noch mal mit dem Pastor unterhalten, und ich möchte meinen Kopf darauf verwetten, dass auch die Familie Verbist katholisch war.«
»Zwei Drittel der belgischen Bevölkerung sind katholisch erzogen, Dirk.«
Bosmans schaute Deleu ein wenig herablassend an, aber Deleu achtete nicht darauf. Er starrte gedankenverloren ins Leere.
»Wurde die Beerdigung der Poulders gefilmt?«
»Was dachtest du denn!«
»Wenn ich wüsste, würde ich nicht fragen, oder?«, erwiderte Deleu gereizt.
»Komm, reg dich nicht auf. Natürlich wurde sie gefilmt. Oder dachtest du, alles ginge den Bach runter, wenn du für eine Weile weg bist?«
Deleu bemerkte sein selbstzufriedenes Grinsen und schwieg.
»Auch diese Beerdigung muss gefilmt werden, Jos. Aus verschiedenen Perspektiven, wir brauchen jede Einzelheit. Sämtliche Kondolenzkarten müssen auf Fingerabdrücke untersucht werden. Bei religiös motivierten Morden kommen die Täter immer zur Beerdigung, das ist Teil ihres Rituals. Wie hießen die Leute noch mal?«
»Verbist.«
»Und Mevrouw Verbist war schwanger und ging zu demselben Gynäkologen wie Mevrouw Poulders?«
»Ja. Und wahrscheinlich war auch ihr Mann bei der ersten Untersuchung nicht dabei.«
»Bist du sicher?«
»Noch nicht, sie sind ja quasi noch nicht kalt, verdammt noch mal! Aber ich vermute es stark.«
»Ich möchte noch einmal zu diesem Haus, Jos, zum Haus der Verbists, sobald alle weg sind. Bitte halte mich auf dem Laufenden, ja?«
»Zu Befehl, Chef.«
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8
A ls Bosmans eine Woche später mittags gegen halb eins in seinem Büro eintraf, lagen dort bereits vierundzwanzig Fotokopien von Telefonmitschriften im Zusammenhang mit dem Fall Verbist.
Die wichtigsten steckten wie üblich in roten Mappen. Ausnahmslos handelte es sich um Fälle, in denen sich schwangere Frauen in irgendeiner Weise bedroht gefühlt hatten.
Bosmans seufzte und schlug die Mappe wieder zu. Er war mit Deleu und Verspaille bei Eveline Pardieu gewesen, einer Gerichtspsychologin, die sich auf die Erstellung von Täterprofilen spezialisiert hatte. Nach dem Fall Dutroux hatte sie in den USA ein einjähriges Praktikum am Zentrum für die Analyse von Gewaltverbrechen des FBI absolviert. Dort konnte man auf jahrelange Erfahrung bei der Erstellung von Täterprofilen zurückgreifen, und in 77 Prozent aller Fälle gelang es den
profilern,
das erstaunlich genaue Porträt eines Täters zu skizzieren.
Bosmans hatte dieser Methode anfangs skeptisch gegenübergestanden, aber seitdem er einmal auf einem akademischen Kongress in Löwen eine Vorlesung von John Douglas, quasi dem Erfinder der Täterprofilierung, gehört hatte, war er anderer Meinung. Douglas hatte auf fesselnde Weise seine Methoden erklärt. Zwar konnten auch die Profiler letztendlich nur raten, aber immerhin gingen sie dabei von einer wissenschaftlich fundierten Basis aus.
Nachdem sie die zahlreichen Details, die über beide Fälle bekannt waren, gründlich studiert hatte, behauptete Eveline, ein genaues Profil des Täters skizzieren zu können. Erstaunt hatte Bosmans ihre Ausführungen verfolgt.
Jetzt öffnete er seinen Diplomatenkoffer, schlug den Bericht auf und begann zu lesen.
»Bei dem Täter handelt es sich um einen niederländischsprachigen Europäer, etwa fünfunddreißig Jahre alt, unverheiratet oder geschieden und unfähig, stabile soziale Kontakte zu knüpfen. Vermutlich hatte er eine schwere Kindheit und wurde von einer Frau, seiner Mutter oder Großmutter, unterdrückt. Wahrscheinlich ist er vorbestraft, aber für ganz andere Straftaten, die er vor vielen Jahren begangen hat. Er geht systematisch vor, und in all seinen Handlungen ist eine religiöse Symbolik zu erkennen, was eventuell darauf hinweist, dass er in seiner Kindheit unter irgendeiner Form von religiösem Fanatismus zu leiden hatte. Mit anderen Worten: Vermutlich ist er übermäßig streng gottesfürchtig erzogen worden, mit einer starken Betonung des Aspekts der ›Unreinheit‹. Die einzige Möglichkeit für ihn, dieser Unreinheit zu entfliehen, bestand in der Wahl eines Berufs, der allgemein als ehrbar oder nobel gilt, etwa Polizist, Richter oder Bestatter.
Er übt einen solchen Beruf aus, erkennt aber irgendwann, dass dieser seinen Hunger nicht stillen kann, gibt seinen verborgenen Trieben nach und beschließt, Selbstjustiz zu üben. Die sadistischen, rituellen Morde, zu denen auch das Stehlen von Föten
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