Bosmans/Deleu 01 -Nackte Seelen
gehört, sind Teil seiner Entwicklung. Er ist auf dem Weg, zu Gott zu werden. Seine zugrundeliegende Absicht besteht vermutlich darin, die Kinder vor dem unmoralischen Verhalten ihrer Eltern zu bewahren, daher exekutiert er die Eltern im Beisein und mit der Hilfe und Zustimmung der Kinder. Wenn die Kinder nicht auf seine Vorschläge eingehen, sieht er sich gezwungen, sie zu vernichten, weil sie seine Botschaft, die Teil seiner Entwicklung ausmacht, nicht anerkennen und ihr Leben daher seiner Meinung nach wertlos wird.
Das Interesse der Medien lässt ihn kalt, weil er ausschließlich um sich selbst kreist und daher keinerlei Bedürfnis verspürt, die Aufmerksamkeit um seine Person zu steigern. Daher wird er kein unnötiges Risiko eingehen und sich niemals zu erkennen geben. Allerdings verfolgt er minutiös den Stand der Ermittlungen und verschlingt alle Presseberichte, um jeden Fehler zu vermeiden. Trotz des Risikos, das er dabei eingeht, muss er auf der Beerdigung seiner Opfer anwesend sein.
Er kann nicht aufhören zu morden. Letztendlich wird er immer häufiger töten, und obwohl er außergewöhnlich intelligent ist, ist es nur eine Frage der Zeit, wann er einen fatalen Fehler begeht.«
Bosmans klappte den Bericht zu und dachte, dass diese Beschreibung dem Computerprofil des Täters sehr stark ähnelte. Dem Profiler-Programm waren zweihundert Informationen über die Opfer und die Art der Morde eingegeben worden. Daraufhin hatte es den Täter folgendermaßen beschrieben: zwischen fünfunddreißig und fünfundvierzig Jahre alt, männlich, weiß, Junggeselle mit einem autoritären Beruf, ein Einzelkind, das in jungen Jahren von seiner Mutter unterdrückt wurde.
Bosmans legte beide Berichte auf seinen Schreibtisch, griff nach der roten Mappe und blätterte die Fotokopien durch. Er konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Ein Anruf betraf einen Polizisten.
Der übereifrige Ordnungshüter hatte in einer zwielichtigen Bar den Mann einer schwangeren Frau recht unsanft behandelt, woraufhin das Ehepaar Anzeige gegen unbekannt erstattet hatte. Die Hysterie rund um schwangere Frauen war von der Presse dermaßen hochgepeitscht worden, dass sogar brave Bezirkspolizisten ihre Kompetenzen überschritten.
Bosmans markierte den Bericht mit einem Häkchen in der rechten oberen Ecke, klappte die Mappe zu, schlüpfte in seinen Mantel und fuhr mit dem Fahrstuhl in den vierten Stock, um sich zusammen mit Dirk Deleu und dem stellvertretenden Staatsanwalt Reusens die zusammengeschnittenen Videobänder von den beiden Beerdigungen anzuschauen.
Deleu und etwa ein Dutzend Kollegen starrten gespannt auf den Bildschirm, während der stellvertretende Staatsanwalt Reusens die ausgewählten Bilder kommentierte. Bosmans setzte sich leise neben Deleu und drückte ihm die Hand.
»Und?«, flüsterte er.
»Nichts Besonderes«, antwortete Deleu.
»Was sagst du zu Evelines Bericht und dem Computerprofil?«
»Hervorragende Arbeit. Mit diesen Informationen im Hinterkopf möchte ich mir die beiden Tatorte gerne noch einmal ansehen.«
»Auf den Familienvideos der Poulders ist das Kinderstühlchen im Kinderzimmer zu sehen, genau wie auf dem bewussten Foto, und im Schlafzimmer der Eltern hing kein Kruzifix. Wir haben das Kreuz noch einmal analysiert und festgestellt, dass es ziemlich dilettantisch an die Wand genagelt wurde. Obwohl Poulders doch wohl ziemlich pingelig gewesen sein muss«, flüsterte Bosmans Deleu ins Ohr.
»Gute Arbeit. Und der Wäscheschrank?«
»Du hattest den richtigen Riecher, mein Freund. Verstappen hat ein ziemlich dummes Gesicht gemacht. Überall Reste von Spinnen. Unter den Fingernägeln der Frau, in ihren Haaren, im Schrank. Wahrscheinlich ist es genauso passiert, wie du vermutet hast: Er ließ eine Horde Spinnen auf sie los und schloss den Schrank ab.«
Wieder nickte Deleu nur. Als der Film ein Stück zurückgespult wurde, ergriff er das Wort: »Und die Verbists? Hat sich da noch etwas Neues ergeben?«
»Ein siebenköpfiges Team untersucht die Kerzen und das Kreuz. Aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass wir dadurch Hinweise auf den Täter finden. Das Kreuz stammt vermutlich vom Flohmarkt, und die Kerzen kann man in jedem Supermarkt kaufen.«
Reusens warf Bosmans einen missmutigen Blick zu.
»Auch in diesem Fall hat er die Kinder gezwungen, ihre Eltern mit einem Messer zu stechen«, ergänzte Bosmans mit gedämpfter Stimme.
Er schaute kurz zu Reusens hinüber, sah, dass dieser wieder eifrig beschäftigt war, und
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