Bosmans/Deleu 01 -Nackte Seelen
auch zur Firmung gegangen, das hatten seine Eltern so gewollt, und er hatte kirchlich geheiratet, aber da hörte es auch schon auf. Dennoch hatte er eine katholische Schule besucht, hauptsächlich, weil dort aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit nur wenige nordafrikanische Kinder hingingen. Vor allem Deleus Mutter hatte damals auf den Besuch dieser Schule gedrängt, nicht, weil sie Rassistin war, sondern weil sie befürchtete, das Unterrichtsniveau könnte unter einem zu hohen Anteil von Schülern aus dem Maghreb leiden. Deleu selbst hatte sich nie Gedanken über so etwas gemacht. Er war freundlich zu allen, die freundlich zu ihm waren.
Die geräumige Küche war geschmackvoll eingerichtet. Anstatt Weihrauch, schweren Gardinen, viel Dunkelrot und Katholikennippes betrat Deleu einen hellen, frühlingsgrünen Raum mit allem modernen Komfort. Die Farbpalette und der Lichteinfall erinnerten Deleu an die Küche der Familie Verbist. Unbewusst wanderten seine Augen über die Wände, auf der Suche nach einem Kruzifix. Es war keines zu sehen.
Der Pastor setzte sich an den bretonischen Küchentisch und lud Deleu ein, seinem Beispiel zu folgen.
»Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten, Mijnheer Deleu?«
»Nein, danke, aber bitte sagen Sie doch Dirk zu mir, Mijnheer Pastor.«
»Okay, Dirk, wirklich nichts? Und ich heiße übrigens Jef.«
»Ah, ja … Jef.«
Der Pastor schenkte sich ein Glas Rotwein ein, nippte genüsslich daran, behielt den Wein eine Weile im Mund, schloss die Augen und gurgelte, bevor er ihn hinunterschluckte.
»Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuchs?«
»Ich würde Ihnen gerne ein paar Fragen stellen im Zusammenhang mit den beiden Morden, die hier in der Nähe geschehen sind.«
»Ja, das habe ich mir schon gedacht. Unfassbar. Wer tut so etwas? Und dann auch noch in meiner Gemeinde.«
Deleu fiel auf, dass der Pastor sich sehr gewählt ausdrückte. »Die beiden Familien waren streng katholisch. Kannten Sie sie?«
»Tja, was heißt kennen …« Der Pastor kratzte sich in den graumelierten, modisch kurz geschnittenen Haaren. »Kennen wäre wohl zu viel gesagt. Natürlich kannte ich sie, sie waren Gemeindemitglieder. Ich habe die Poulders kirchlich getraut, damals, als ich die Gemeinde Sankt Josef gerade erst übernommen hatte, und ich habe ihre Tochter getauft.«
»Wann war das?«
»Tja … das muss inzwischen an die acht Jahre her sein, so genau merke ich mir das alles nicht. Und ob ich sie kannte? Nicht persönlich, nein. Die Poulders besser als die Verbists. Die Verbists waren nicht von hier. Ich habe sie einmal besucht, nachdem sie gerade neu zugezogen waren, aber später habe ich keinen Kontakt mehr zu der Familie gehabt.« Und an dieser Stelle ließ sich Hermans gehen, ganz kurz nur – sein Tonfall verriet, dass er aus dem Süden der Provinz Limburg stammte.
Deleu reichte ihm ein abgegriffenes Foto der Familie Verbist. Pastor Hermans fasste es vorsichtig am Rand zwischen Daumen und Zeigefinger und schaute es an.
»Sie können es ruhig richtig in die Hand nehmen.«
»Nein, nein, ein Foto muss man mit Respekt behandeln«, erwiderte der Pastor. »Vor allem ein Bild von diesen unglücklichen Menschen. Ja, jetzt erinnere ich mich wieder an sie. Gott, die Kinder, diese armen Lämmchen!«, murmelte er. Er schüttelte den Kopf und ließ das Foto in Deleus Handfläche fallen. Dem Pastor ging die Sache wohl ebenso nahe wie den gewöhnlichen Sterblichen.
»Aber Mevrouw Pauwels haben Sie ab und zu besucht?«
»Pauwels … Pauwels … Lassen Sie mich kurz nachdenken.«
»Mevrouw Pauwels wohnt schräg gegenüber von den Verbists.«
»Schräg gegenüber.« Der Pastor runzelte die Stirn. »Ach, Sie meinen Marietteke, ja, natürlich, jetzt weiß ich Bescheid. Ja, Marietteke ist vierundachtzig und streng katholisch. Eine sehr nette Frau. In letzter Zeit baut sie allerdings ziemlich schnell ab. Ja, die älteren Gemeindemitglieder, vor allem die alleinstehenden, die besuche ich regelmäßig. Das halte ich für meine Pflicht.«
Hermans legte eine Pause ein und trank seinen Wein aus. »Möchten Sie wirklich nicht mal ein Gläschen probieren? Dieser Wein ist phänomenal, ein Clos d’Eglise.«
»Na schön, wenn er wirklich so gut ist.«
»Augenblick, die Flasche ist so gut wie leer. Ich hole eben eine neue. Aus dem Keller.«
Der Pastor verschwand im Keller und ließ die Tür offen stehen. Deleu nahm einen muffigen Geruch wahr. Er wollte nachsehen, bezwang jedoch seine Neugier und wartete
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