Bosmans/Deleu 01 -Nackte Seelen
November?«, wiederholte Deleu ebenso gespannt seine Frage. Der Pastor schien plötzlich zu erwachen.
»Äh, ja, kann gut sein, dass ich in der Woche bei Mariette war. Das genaue Datum weiß ich nicht mehr, jedenfalls nicht aus dem Kopf. Wie finden Sie den Wein?«
»Hm, sehr gut, aber ein bisschen zu schwer für mich.«
Dem Pastor graute vor so viel barbarischer Unwissenheit, doch er ließ sich nichts anmerken. Er bereute es, die Flasche geöffnet zu haben.
»Bitte versuchen Sie, sich an das genaue Datum zu erinnern! Es ist sehr wichtig«, wiederholte Deleu.
»Kein Problem«, antwortete Hermans. »Ich sehe mal eben in meinem Taschenkalender nach.«
Er zog eine Schublade auf und holte den Kalender heraus.
»Ja, stimmt, an dem Tag war ich bei Mariette, und tatsächlich erinnere ich mich wieder daran, dass jemand klingelte, als ich gerade aufbrechen wollte. Ich schaue ab und zu bei Mariette vorbei, damit sie nicht so einsam ist. Ihre vier Töchter kümmern sich kaum um ihre Mutter. Nur das Allernotwendigste erledigen sie. Es ist traurig. Wie gesagt, als jemand kam, bin ich gegangen.«
»Haben Sie die Person gesehen, die bei Mariette klingelte?«
»Gesehen? Na ja, nur im Vorbeigehen. Ich habe gegrüßt, aber nicht richtig hingeschaut. Ich kannte den Mann nicht und glaube nicht, dass ich ihn vorher schon einmal gesehen hatte. Warum fragen Sie mich? Sie müssten ihn doch besser kennen als ich, wenn er ein Polizist in Zivil war?«
»Ein Polizist in Zivil?«, fragte Deleu erstaunt.
»Ach, war er denn keiner?«
»Nein, es war ein Stromableser von den Stadtwerken, dafür hat er sich jedenfalls ausgegeben. Warum haben Sie ihn für einen Polizisten gehalten?«
»Ach, aus keinem besonderen Grund, aber momentan ist ja so viel Polizei unterwegs.«
»An dem Tag, an dem Sie Mariette besuchten, geschahen die Morde. Wir vermuten, dass dieser Mann gar kein Stromableser war.«
»War er der Mörder?« Aus den Augen des Pastors sprach Entsetzen.
»Nein, höchstwahrscheinlich nicht, aber es ist äußerst wichtig für unsere Ermittlungen, ihn ausfindig zu machen.«
Deleus Handy summte.
»Entschuldigung«, sagte er zu Pastor Hermans.
»Bitte, ich habe es nicht eilig.«
Es war Jos Bosmans, der Deleu dringend brauchte. Es gab einen Durchbruch im Zusammenhang mit dem Mann im grauen Mantel. Deleu müsse unverzüglich zu Bosmans ins Präsidium kommen.
»Ich muss jetzt leider gehen, Mijnheer Pastor. Nur noch eines: Können Sie mir den Mann beschreiben?«
»Tja, er war um die fünfzig, hatte lockiges graues Haar und eine Brille mit dünnem Gestell, glaube ich. Er war ein wenig gesetzt. Ansonsten kann ich mich an nicht mehr viel erinnern.«
»Hm, wären Sie eventuell bereit, ins Präsidium zu kommen und den Mann zu identifizieren?«
»Wow, wie spannend. Ist das Ihr Ernst?«
»Noch ist es nicht sicher, aber es könnte notwendig sein.«
»Ja, natürlich, Sie können auf meine Mitarbeit zählen. Jede Kleinigkeit hilft schließlich. Wie weit sind Sie eigentlich mit Ihren Ermittlungen? Die Leute haben Angst.«
»Äh … das kann … das darf ich Ihnen leider nicht verraten.«
»Natürlich nicht, war eine dumme Frage, es ist ähnlich wie beim Beichtgeheimnis, nicht wahr?«
»Ja, so ähnlich.«
Deleu erhob sich und trank in einem Zug sein Glas aus. Pastor Hermans begleitete ihn zu seinem Wagen.
»Ist Ihnen sonst irgendetwas Verdächtiges aufgefallen, als Sie bei Mevrouw Pauwels waren?«, fragte Deleu im Einsteigen.
»Nein, nichts Besonderes. Aber wenn mir im Zusammenhang mit dem bewussten Tag noch etwas einfällt, sage ich Ihnen Bescheid.«
»Danke. Hier ist meine Karte, oder besser, die Karte des Untersuchungsrichters, Jos Bosmans.«
»Könnte ich vielleicht Ihre Nummer haben? Sie kenne ich ja jetzt persönlich.«
Deleu schrieb seine Handynummer auf die Karte und gab Gas. Als er in den Rückspiegel schaute, sah er, dass Hochwürden ihm nachwinkte.
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12
J os Bosmans tigerte aufgebracht hin und her, als Deleu in sein Büro hineinplatzte. Verstappen saß betreten in einer Ecke und pulte unbeholfen an seinen Fingernägeln.
»Wenn der stellvertretende Staatsanwalt jeden Tag eine Pressekonferenz will, dann soll er sie gefälligst selber halten, das können Sie ihm von mir ausrichten! Ich mach das nicht! Ich habe wahrhaftig andere Sorgen, als die Presse zu füttern!«
Als Verstappen Deleu bemerkte, stand er auf und verließ grußlos den Raum.
»Geht in Ordnung«, sagte er brüsk, während die Tür hinter ihm
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