Bosmans/Deleu 01 -Nackte Seelen
geduldig. Er hoffte, der Pastor würde ihm ein wenig mehr über den geheimnisvollen Stromableser erzählen können, der bei Mariette Pauwels zu Besuch gewesen war. Oder vielleicht war ihm während der Messen etwas Verdächtiges aufgefallen. Sie waren für jeden Hinweis dankbar. Mehr als dankbar.
Das Gefühl, dass der Mörder schon bald wieder zuschlagen würde, ließ ihn nicht los. Deleu hörte ein gedämpftes Klicken in der Innentasche seiner Jacke, holte ein Diktiergerät heraus, drehte die Kassette um und seufzte. Eigentlich sollte das Gerät erst ab einer gewissen Geräuschfrequenz aufzeichnen, aber es lief durch. Entweder, er musste in Zukunft darauf achten, dass noch genügend Platz auf der Kassette war, damit ein Gespräch ganz darauf passte, oder er musste das Ding mal gründlich überprüfen lassen.
Deleu kündigte einem Befragten niemals an, dass er das Gespräch aufnahm. Anfangs hatte er es getan, dabei aber festgestellt, dass seine Gesprächspartner daraufhin wesentlich weniger spontan waren. Zwar war sein Vorgehen eigentlich nicht legal, aber es hatte sich in der Vergangenheit mehrmals als unschätzbar wertvoll erwiesen, denn auf den Kassetten hörte man manchmal Nuancen, die einem im eigentlichen Gespräch nicht aufgefallen waren, sogar bestimmte Schwankungen im Tonfall des Befragten, die später wichtig sein konnten. Wie bei der Vernehmung von Lucien Dom: Auf jedes Stocken in dessen Aussage war Deleu bei der nächsten Vernehmung gesondert eingegangen. Die Taktik hatte sich als äußerst effektiv erwiesen.
Der Pastor suchte in den hölzernen Weinregalen nach einem Clos d’Eglise. Er wusste, dass er noch irgendwo einen von 1972 liegen hatte. Ein göttlicher Jahrgang!
Endlich hatte er die Flasche gefunden. Er drehte sie vorsichtig am Flaschenhals, um das Etikett lesen zu können, ohne den Wein unnötig zu bewegen. Ja, sie war es. Als er die Flasche aus dem Regal zog, huschte eine große Hausspinne über seinen Handrücken. Er erschrak heftig, hatte sich aber sofort wieder in der Gewalt.
Die riesige Spinne blieb in der Ecke des Weinregals sitzen und machte sich so klein wie möglich. Der Pastor und die Spinne – beide blieben stehen wie angewurzelt. Dann griff der Mensch blitzschnell zu, und die Spinne war in seiner Hand gefangen.
Pastor Hermans lief ein Schauder über den Rücken, aber er hielt die Hand fest geschlossen. Die ekelerregenden Monster mit der bloßen Hand zu fangen kostete ihn jedes Mal wieder große Selbstüberwindung. Im Keller wimmelte es geradezu von
Araneae.
Dies hier war eine Hausspinne, eine
Tegenaria Domestica.
Einerseits fand er, dass die widerlichen Kreaturen nicht in das Haus Gottes gehörten, doch andererseits waren es nützliche Tiere und genau wie er Geschöpfe Gottes.
Er suchte nach dem großen Glas, in dem er die Tiere meist sammelte, um sie später im Garten wieder freizulassen, konnte es aber nicht finden. Einen Moment lang überlegte er, das Tier mit hinaufzunehmen und es draußen laufen zu lassen, aber als er am Foto seiner verstorbenen Großmutter vorbeikam, dem vergilbten, ovalen Porträt einer strengen Dame mit stechenden schwarzen Augen, blieb er stehen. Er packte das Bild und presste blitzschnell die Handfläche dagegen.
Er betrachtete das Porträt – ein Auge war vollständig mit Spinnenbrei bedeckt – lächelte, schlug hastig ein Kreuz, schmeckte bereits den köstlichen Wein auf der Zunge, wischte sich die Hand seitlich an der Jeans ab und ging »Alte Kameraden« pfeifend wieder nach oben.
Er entkorkte die Flasche liebevoll, ganz gespannt, was der Inspecteur zu seinem Weinchen sagen würde, denn wenn es eines gab, worauf er wirklich stolz war, dann seine Sammlung französischer Grand Crus, die er hegte wie kostbare Schätze.
»So, Dirk, wo waren wir stehengeblieben?«
Obwohl der Pastor auf den ersten Blick sympathisch wirkte, fühlte Deleu sich unbehaglich. Dieser Mann besaß eine starke Persönlichkeit, stets riss er das Gespräch an sich.
»Mariette Pauwels«, antwortete Dirk Deleu. »Ich habe mit ihr gesprochen. Sie hat mir erzählt, dass am Mordtag ein Stromableser bei ihr klingelte, während Sie gerade bei ihr zu Besuch waren.«
»Ach ja, an welchem Tag war das denn?« Hermans runzelte die Stirn.
»Am Freitag dem zwölften. Können Sie ihre Aussage bestätigen?«, fragte Deleu und trank einen Schluck von dem fachkundig eingeschenkten Wein.
Der Pastor starrte Deleu erwartungsvoll an und antwortete nicht.
»War das am zwölften
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