Bosmans/Deleu 01 -Nackte Seelen
Mecheler Postamtes gründlich auf den Zahn und untersuchte das Postfach auf Fingerabdrücke. Von den bisher vernommenen Postangestellten hatte keiner etwas Verdächtiges bemerkt. Es glich der berühmten Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Die Post wurde täglich von mindestens tausend Kunden besucht, und die Angestellten hatten wahrhaftig etwas Besseres zu tun, als die ganze Zeit die Postfächer zu beobachten.
Zwei Zivilbeamte observierten unauffällig Luytens Postfach, in der Hoffnung, doch noch einen Verdächtigen auf frischer Tat ertappen zu können. Bosmans wusste, dass kaum Hoffnung bestand, aber er wollte nichts dem Zufall überlassen. Sie versuchten zwar, möglichst diskret vorzugehen, doch schon bald würde es in der Post von Schaulustigen wimmeln. Bosmans hatte den Vorgang bisher erfolgreich vor der Presse verheimlicht, aber es war nur noch eine Frage der Zeit, wann sie Wind davon bekommen würde, bei den vielen Angestellten, die sie verhört hatten.
Was ihm vor allem verdächtig vorkam, war die Tatsache, dass an und in dem Postfach keinerlei Fingerabdrücke zu finden waren. Alles war spiegelblank geputzt. Vermutlich hatte derjenige, in dessen Besitz sich der Schlüssel befand und der wahrscheinlich der Mörder von Harry Luyten war, es saubergewischt.
Hatte er nach dem Mord Beweismaterial daraus entwendet oder, schlimmer noch, belastendes Material darin deponiert? Hatte der Mörder der Poulders den Schlüssel der Garagentür in das Postfach von Harry Luyten geschmuggelt? War die Verbindung De Staercke – Luyten reiner Zufall? Bosmans war davon überzeugt, obwohl er große Anstrengungen unternahm, De Staerckes Immunität aufheben zu lassen. Der Mörder der Poulders musste Luyten auf jeden Fall gekannt haben.
Als Deleu mit gerunzelter Stirn den Hörer wieder auflegte, fragte Barbara: »Was ist los?«
»Harry Luyten war der Mörder der Teenager aus Eppegem. In seinem Postfach wurde die Mordwaffe gefunden. Seine Fingerabdrücke waren darauf. Damit ist wenigstens schon mal ein Fall gelöst.«
»Schön«, sagte Barbara. »Besser als gar keiner.« Sie gab ihrem Mann einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Darüber, dass der Schlüssel zum Postfach noch immer nicht aufgetaucht war und dass der Mörder ihn haben könnte, sagte Deleu kein Wort. Er hasste sich dafür, dass er Barbara schon wieder täuschen musste.
Deleu lag lustlos auf dem Sofa. Barbara war früh zu Bett gegangen, und Rob, der auf einer Fete war, wusste nichts von den Eskapaden seines Vaters. Deleu sagte sich, dass er sich wahrscheinlich nicht einmal fragen würde, warum sein Vater plötzlich wieder zu Hause war. Dann versuchte Deleu, die bisherigen Geschehnisse noch einmal zusammenzufassen und zu ordnen.
Aus Mangel an Ideen beschloss er, sich die Kassetten mit den verschiedenen Zeugenaussagen in diesem frustrierenden Fall noch einmal aufmerksam anzuhören. Er ging zu dem Phonomöbel aus Fichtenholz und öffnete die Glasschublade. Die Kassetten waren bisher nicht mal numeriert. Deleu seufzte. »Ordnung und Sauberkeit werden wohl nie zu deinen Stärken gehören, Deleu«, sagte er leise zu sich selbst, legte irgendeine Kassette ein und suchte nach der Fernbedienung.
Auf der modernen Stereoanlage ließen sich die Aufnahmen viel besser abhören als auf dem Diktiergerät. Man konnte die Schwankungen im Tonfall eines Befragten leichter heraushören, sich bestimmte Stellen immer wieder anhören, das Band verlangsamen, beschleunigen und sogar den Klang verzerren, was wichtig für die Interpretation bestimmter Aussagen sein konnte. Jede Einzelheit war wichtig.
Deleu machte es sich wieder auf dem Sofa bequem, setzte die Kopfhörer auf und drückte den Startknopf. Es war die Aufnahme des Gesprächs mit Pastor Hermans. Deleu kam es vor, als wäre es schon eine Ewigkeit her.
»Mijnheer Deleu.«
»Nicht nötig, Mijnheer Deleu, hier ist jeder willkommen. Bitte folgen Sie mir.«
Deleu hatte Hermans seinen Dienstausweis gezeigt, aber der hatte nur abgewinkt. Der Pastor – ein athletisch gebauter Mann. Überaus selbstsicher. Deleu hörte ihre hallenden Schritte, als sie gemeinsam die Kirche in Richtung des auf der Rückseite angebauten Pfarrhauses durchquerten. Er betätigte die Stopptaste.
Deleu zermarterte sich das Gehirn. Wenn er sich recht erinnerte, konnte man das Pfarrhaus nur durch die Kirche erreichen. Deleu fragte sich, ob es keinen anderen Ausgang gab. Er ertappte sich dabei, dass er sich in seiner Phantasie unterirdische
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